Samstag, 18. November 2023

St. John's

Acht Uhr morgens, die Sonne scheint auf Antigua, sanfte Raggae Musik weckt mich auf. Aber woher? Es ist nicht das Handy, auch nicht der Fernseher. Es ist keiner der Lautsprecher in meiner Kabine (wäre auch noch schöner, die sind nur für Notfälle) , und auch keiner auf dem Gang. Anscheinend kommt die Musik aus der Außenwelt, von der ich durch eine massive Stahlwand und ein dickes, nicht zu öffnendes Fenster getrennt bin. Merkwürdig, ich habe, abgesehen von der rumpelnden Ankerkette und den quietschenden Auslegern der Tenderboote, noch nie Außengeräusche gehört. Das wird spannend.

Zehn Uhr morgens, Frühstück vorbei, Zeit das Schiff zu verlassen. Inzwischen habe ich zwei Ideen für die Herkunft der Musik, die inzwischen auf 70er Charts gewechselt hat: Entweder das andere Schiff an unserer Pier, direkt gegenüber, oder es steht ein DJ unten auf der Pier und nützt die riesigen Bordwände der beiden Schiffe als zusätzliche Resonanzflächen. Nun, DJ war schon einmal richtig, aber man findet ihn ganz weit weg an Land, etwa 400m weit, in einem Open-Air-Club, wo er alles gibt, um die Leute anzulocken. Frühmorgens. Aber Laune macht es schon, zwischen den ganzen knallbunten Läden, die die Straße vom Hafen geradeaus und links und rechts weg führen zu spazieren und stöbern. Es ist überall sehr viel los, ständig wird einem irgendwas ins Ohr gesagt, aber stets in angenehmer Lautstärke, und über allem liegt der Sound des DJs. Ich gerate in einen Laden, wo handgemachte Souvenirs angeboten werden, und finde einen schönen Magneten in Form einer handbemalten Sonne. Und da hier alles so schön bunt ist, nehme ich sie in lila. Schnell zur Kasse, 8 US$ bezahlt, schnell weg. 

Das war der Plan.

Ich mache Bekanntschaft mit der vielleicht langsamsten Kassiererin ever, die sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lässt, und dabei der "freundlichste Sonnenschein" ist, dem ich je begegnet bin.

Als ich nach längerer Zeit des Anstehens (zum Glück ist der Laden gut klimatisiert) dann auch einmal dran bin, gibt es kein fröhliches „hallo“ oder was auch immer, sondern sie kommt sofort zur  Sache. „Boardcard!“ fordert sie. Ach ja, hier ist zollfrei, und um einkaufen zu dürfen, muss man Ausländer sein. Und die können, hier am Hafen, natürlich nur von einem Schiff kommen. Blick auf die Bordkarte werfen ob das Bild übereinstimmt, und weiter geht’s. So laufen die Kontrollen im Hafen, bevor man zu den Schiffen darf. Hier ist das anders: die Daten meines Bordausweises werden ganz sorgfältig händisch ins Kassensystem übertragen, und vermutlich vertippt sich Fräulein Slowhand auch ein oder zweimal, denn so lange kann man eigentlich nicht brauchen, um einen Namen einzugeben, der aus nur acht Buchstaben besteht. Die Zeit vergeht. „Room Number!“ herrscht sie mich an. Gut, dass wir wenigsten die gleiche Sprache sprechen, denn gleich danach fordert sie „Eight Dollars“. Sie mustert den Zehner, den ich ihr gebe, ganz genau, zählt mir sorgfältig die zwei Dollar Retourgeld auf den Tresen, lässt mich einen Steuerbeleg unterschreiben, und packt dann sorgfältig, umsichtig und - langsam - meine Sonne ein, die ich nach einer angemessenen Zeit mitsamt einem Kassenzettel an mich nehmen darf. „Next“ herrscht sie den nächsten Kunden an.

Ach ja - ich wollte Euch noch erzählen, warum ich so lange an der Kasse Schlange stehen musste. Brauche ich nicht? Doch, einen habe ich noch. Vor mir waren genau zwei Kunden gewesen, einer so wie ich - ein Artikel für wenig Geld - und davor eine ältere Dame. Die wollte drei Artikel für einen Gesamtpreis von 75 US$ mitnehmen, ohne Kreditkarte. Sie hat den Betrag daher in kleinen, gebrauchten Scheinen bezahlt. Es waren sechs Fünfer und sage und schreibe 45(!) Ein-Dollar-Noten, die sie der Kassiererin so sorgfältig wie möglich auf den Tisch auf den Tisch zählte. Und da sie eine alte Dame war, machte sie das langsam, weil sie es gar nicht mehr schneller konnte. Und da sie eine alte Dame war, klappte das mit dem Zählen auch nicht mehr so gut, und sie brauchte drei Versuche. Die Kassiererin zählt das Geld nach - sicher ist sicher - dann noch ein zweites Mal, und weil sie Miss Slowhand ist, hatte auch diese Aktion wenig Chancen, irgendeinen Geschwindigkeitsrekord zu brechen. Der kleine Teufel, der an meinem Hals hängt, flüsterte mir zu „stelle Dir vor, jetzt käme ein Windstoß in den Laden, und würde den Geldhaufen treffen. Wäre das nicht lustig?“ Ganz ehrlich, in diesem Moment war ich froh, dass er keine Windstöße machen kann, und ich auch nicht. Sonst hätte ich vielleicht noch das Schiff verpasst, heute Abend.

Ach ja - einen habe ich noch, einen ganz kurzen. Bevor ich den Laden betreten habe, war er mir schon aufgefallen, und zwar daran, dass ganz viele Leute ohne Einkäufe wieder rausgekommen sind. Das hätte mir eine Warnung sein können.



 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abenteuer Bahn

  Als mir heute morgen, im Bett, ganz spontan dieser Titel eingefallen ist, wusste ich natürlich noch nichts vom heutigen Tag. Aber ganz von...