Der Flughafen von Miami ist nicht allzu groß, und so habe ich die Dame mit dem „ARTANIA“-Schild, die als Abholer erschienen war, schnell gefunden. Sie spricht deutsch, schickt erst einmal jeden zur Toilette (vermutlich war sie in einem früheren Leben Erzieherin in einem Kindergarten gewesen) und führt dann unsere Gruppe von acht Leuten, die das „Vorprogramm Miami“ gebucht haben, auf den Parkplatz, wo ein schwarzer Van mit abgedunkelten Scheiben für uns bereit steht. Der Fahrer, ein sehr schlanker, langhaariger Mann in einem dunklen Anzug, der mit seiner wuchtigen Goldkette, mehreren großen Ringen und einer dunklen Brille gut einen Gangster bei Miami Vice hätte spielen können, wuchtet nicht ohne Mühe all unsere Koffer hinten in den Wagen und lässt uns dann durch eine seitliche Schiebetür einsteigen. Im schwarzen Inneren des Wagens erwarten uns vier Dreierreihen von großen, komfortablen schwarzen Ledersitzen, die allerdings den Nachteil haben, dass nur die beiden vorderen Reihen wirklich erreichbar sind. Dann endet die Türöffnung, und man muss sich durch einen wirklich schmalen Spalt im Wagen durchquetschen, um nach hinten zu kommen. Zum Glück sind nicht alle alten Leute dick, zwei schaffen es durch den Schlitz, und so können wir fahren. Der Verkehr ist lebhaft, aber flüssig, und so erreichen wir nach einer Dreiviertelstunde Downtown, eine nicht mehr ganz frische, leicht bröckelige Hochhausgegend, wo unser angeblich sehr gutes Hotel stehen soll. Kurz zuvor macht uns die Reiseleiterin noch auf einen großen Supermarkt der „Publix“-Kette aufmerksam, was gut ist, weil ich meine Zahnbürste vergessen habe, und empfiehlt, nur tagsüber auszugehen, was ebenfals gut ist, weil einige der Gruppe einen Abendspaziergang planen. Zwei Straßen weiter dann unser Hotel, natürlich ein Hochhaus der besonderen Art: auf Straßenniveau gibt es ein großes Foyer, dann folgen vier Parkebenen, bist man auf Etage 6 dann die Hotelrezeption, die Bar und den Pool findet. Schnell eingecheckt, ist man dann bald im Zimmer (meins ist im 11. Stock, das mindestens zweithöchste wo ich je gewohnt habe), vorausgesetzt, man versteht die Kommunikation mit dem Aufzug. Und die geht so: Um ab dem 6. Stock nach oben fahren zu können, muss man erst die Hotelkarte einlesen, und dann die gewünschte Etage drücken. Da geht auch mehrfach hintereinander: Fahrgäste, die woanders hin wollen, lesen anschließend ihre Karte ein und wählen ihre Etage. Hat man viele Gäste in einem der sehr großen Aufzüge, leuchten etliche hübsche blaue Lämpchen an der Knopftafel des Aufzugs, und er fährt los, nämlich genau dorthin, wo der erste Gast ihn haben will. So weit so gut. Aber weil er ein amerikanischer Aufzug ist, überfordern ihn komplexe Aufgaben ebenso schnell wie es bei vielen menschlichen Mitarbeitern in diesem Land ist, denn kaum wurde das erste Ziel erreicht, erlöschen sämtliche blauen Lämpchen, und man muss dem Aufzug alles nochmal mitteilen, tunlichst immer nur eins auf einmal. Und im Gegensatz zu menschlichen Kollegen kann der Aufzug seine Unfähigkeit noch nicht einmal weg lächeln, weil er nichts hat, womit er lächeln könnte.
Wie auch immer, nach einem mittleren Fußmarsch ist das Zimmer erreicht, und die Tür geht auch problemlos auf, zumindest dann, wenn man die Hotelkarte richtig herum vor den Kontakt hält. Typisch amerikanisch: öffnet das Schloss, zeig sich nicht eine einzelne grüne Diode, sondern eine ganz Lichterkette zieht fröhliche Halbkreise. Show muss sein. Ich bin schon froh, dass die Tür mir kein „welcome“ entgegen säuselt. Aber dafür ist sie wohl nicht mehr neu genug.
Das Zimmer sieht ähnlich aus wie auf den Bildern im Internet, ist auf den ersten Blick sauber und verströmt einen intensiven Geruch nach irgendeinem scharfen Reinigungsmittel. Aber darauf kann ich jetzt nicht achten. Ich deponiere mein Gepäck im Zimmer, tausche den Inhalt der Geldbörse von € zu US$, denn ich brauche ja noch eine Zahnbürste sowie etwas zu essen und zu trinken, und man soll ja nur tagsüber raus. Die rasch untergehende Sonne treibt mich an, den Fußweg zum Publix möglichst rasch zurück zu legen, und das bei tropischen Temperaturen mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit.
Die Reiseleiterin hatte es genau erklärt: das Hotel liegt in der 8. und der Supermarkt in der 12. Straße. Und los geht es, wenn auch mühevoll bei dem Klima. An der 1. Kreuzung bin ich noch vorsichtig. Auf dem Schild steht „9. Straße“, also bin ich in der richtigen Richtung unterwegs. Doch abgelenkt von den wundervollen Düften aus zahlreichen Tex-Mex-Restaurants, den vielen hübschen Latina-Mädchen auf der Straße, den von allen Seiten auf mich einströmenden spanischen Sprachfetzen und dem Vorgarten, der den Publix-Eingang verdeckt, renne ich daran vorbei, typisch für mich. Als die Gegend immer finsterer und brüchiger wird, und ein Schild etwas von „15. Straße“ verkündet, merke sogar ich, dass ich mal wieder zu weit gegangen bin. Ich schleppe mich also zurück, und aus dieser Richtung sieht man den grün beleuchteten Supermarkt-Eingang genauso deutlich wie vorhin vom Bus aus. Obwohl der riesige Publix sehr gut besucht ist (wir haben Sonntag Abend), herrscht im Laden eine ruhige und sehr entspannte Atmosphäre. Es gibt hier alles für den täglichen Bedarf, was man zum essen, trinken, waschen und putzen braucht, in einer riesigen Auswahl. Habt Ihr schon einmal ein Regal gesehen, wo es auf 10m Länge nur die verschiedensten Chips gibt? Oder 20m Säfte jeder Art? Interessanterweise ist die Auswahl bei Zahnbürsten weit weg davon: die meisten sind ausverkauft, und der größte Teil der vorhandenen ist für Kinder gedacht. Ich habe nur die Auswahl zwischen einer Zahnbürste für 12,95$ und einem Viererpack für 3,95$. Weiß nicht, was Ihr gemacht hättet, ich habe den günstigen Jahresvorrat genommen. Zusammen mit ein paar Sandwiches und Getränken stelle ich mich dann im Kassenbereich an - nein, nicht nötig, denn alle ca. 30 Kassen sind geöffnet, und nirgends schlängelt es sich. Wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, verpackt ein junger Mann meine Einkäufe in Plastiktüten, ein weiterer räumt den (pfandfreien) Einkaufswagen weg, und ich trabe mit meiner Beute hinaus in die Dunkelheit. Draußen herrscht eine interessante Stimmung, denn waren im Laden noch relativ viele „weiße“ Kunden zu sehen, gibt es auf der Straße - abgesehen von ganz wenigen Touristen, und dem dicken Mann - nur Latinos und N… ich habe mir was neues, nicht-diskriminierendes für den Unsinn ausgedacht, den man uns diktiert: - nur Latinos und afrikanisch aussehende Mitmenschen sind zu Fuß unterwegs. Aber auf die Idee, dass es hier gefährlich sein könnte, käme ich im Leben nicht. Natürlich komme ich auch völlig unbehelligt am Hotel an, um als erstes, in meinem Badezimmer, zwischen den wenigen vorhandenen Vanities ein Schild zu entdecken, das darauf hinweist, dass man alles was fehlt kostenlos an der Rezeption bekommen kann. Das erste, was angeboten wird, sind - Zahnbürsten. Getränkeautomaten haben sie auch, aber nichts zu essen, auch kein Restaurant, nur eine Bar. Die hat sogar geöffnet, aber für heute hatte ich genug Gesellschaft, esse noch schnell ein halbes Sandwich, trinke ein vorgekühltes Bier aus dem Supermarkt, genieße kurz die Aussicht, besteige das höher gelegte Bett und bin dann mal weg. Der Gestank nach dem Putzmittel zum Glück auch.
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