Also, zunächst einmal nicht. Als ich gegen 01.00 Uhr ins Bett gehe, liegen wir immer noch unbeweglich an der Pier. Als ich um 04.00 Uhr mal raus muss, wie das bei alten Männern so ist, immer noch. Als ich um 7.00 Uhr ausgeschlafen habe (das passiert, wenn man Mittagsschlaf gehalten hat), bewegt sich das Schiff, und ich habe freien Blick auf - nein, nicht das Meer, sondern auf viele langsam vorbeiziehende Häuser. Die Heckkamera (wir haben drei Kameras auf dem Schiff, nein, eigentlich wohl hunderte, aber drei, deren Bild man auf den Fernseher legen kann: eine vorne raus, was schön sein kann, eine hinten raus, was auch schön sein kann, und eine am Pool, da kommt es ein wenig auf die Badegäste an, ob das schön sein kann), also die Heckkamera zeigt den Tejo und gar nicht so weit weg die Ponte 25 de Abril, ich schätze mal vorsichtig, dass wir immer noch nicht mehr als eine Stunde von der Anlegestelle entfernt sind. Was war passiert?
Nun, zunächst ein guter Plan. Aufgrund der Nähe zum Meer spürt man auf dem Tejo deutlich die Gezeiten, also Ebbe und Flut, und zwar weniger durch eine Änderung des Wasserstands, als vielmehr durch eine kräftige Strömung. Der Umwelt und dem Geldbeutel zuliebe kann man das nützen. Unser Captain wollte daher um Mitternacht ablegen, wenn die Ebbeströmung Richtung Meer am stärksten ist, mit Hilfe der Strahlruder vom Flußufer wegfahren, und dann mit Unterstützung der Ebbeströmung von hinten und entsprechend weniger Maschinenleistung auf den Atlantik hinaus fahren. Blöd ist nur, dass die Jungs vom Mooringdeck (mooring oder muring = Kette, das Deck, von wo aus Schiffe an Land befestigt werden) schon müde waren oder nicht aufgepasst haben, und dadurch nicht verhindern konnten, dass sich zwei der Leinen aufgrund der starken Strömung in unserer Ruderanlage verheddert haben. Eigentlich nicht so schlimm, ein Taucher hätte das Problem in zehn Minuten gelöst. Wir haben aber keinen. Wir haben noch nicht einmal genug Küchenpersonal (und auch sonst fehlt einiges, doch davon später). Also musste man sechs Stunden warten, bis die Flutströmung in umgekehrter Richtung die Seile wieder aus der Ruderanlage rausgedrückt hat und man sie einholen und endlich losfahren konnte, jetzt aber gegen die Strömung. Und wegen der sechs Stunden Verspätung den ersten Tag lang sogar nahezu mit Höchstgeschwindigkeit. Aber wir sagen es keinem.
Während dem Tag treffe ich auf Harry & Sally. Sie sind immer noch glücklich, auch wenn Sally etwas still wirkt. Aber das muss nichts heißen, man kommt bei Harry nur schwer zu Wort.
Im hinteren Teil des Schiffs gibt es die Außenalster-Bar. Nachmittags bekommt man hier Tapas (darum hieß sie auf den alten Schiffen zunächst tapaz-y-màs-Bar, was den rein deutschsprachigen Gästen wohl spanisch vorkam und wenig angenommen wurde. Heute ist die Bar sehr beliebt, ich vermute mal, in erster Linie, weil sämtliche Tapas inzwischen inkludiert sind und nicht mehr extra bezahlt werden müssen), also, es gibt Tapas und ansonsten eben die üblichen Getränke. Man hat Tische und Stühle, über einen kleinen Umweg Zugang zum Ausguck und direkt zu den beiden blauen Balkons, und eine hufeisenförmige Bar. Als ich am Spätnachmittag hin gehe, sitzen dort ein Ehepaar, nennen wir sie Daisy & Donald, sowie etwas entfernt, ein einzelner Mann, nennen wir ihn Daniel, alle so um die sechzig. Als sie mich sehen, beginnen sie mir zu winken, unabhängig voneinander, aber sehr synchron und auf eine ganz eigene Art. Ich versuche das mal zu beschreiben, denn ich glaube, es lohnt sich:
- Jeder von Euch hat schon einmal gesehen, wie Elizabeth II, die Mutter von König Charles III (Habt Ihr Euch daran schon gewöhnt? Ich nicht!) bei öffentlichen Auftritten den Menschen um sich herum zugewinkt hat: Unterarm steil aufgerichtet, und dann so minimalistisch wie möglich das Handgelenk hin- und her gedreht und die Hand ein ganz klein wenig hin- und her geschwenkt, einfach unnachahmlich.
- Das Winken der asiatischen Glückskatze: Ihr habt wieder einmal die Dleiunddleißig mit geblatenem Leis und Lindfleisch bestellt, dleimal, trefft zur Abholung bei Eurem Lieblingschinesen ein, und da sitzt sie, auf der Theke: eine kleine oder auch große Kunststoffkatze, golden lackiert wie eine Christbaumkugel und figürlich ähnlich adipös, mit einem Grinsen im Gesicht, das jeder echten Katze unmöglich wäre, und winkt mit einer Vorderpfote, immer von senkrecht oben bis waagerecht vorne, aus der Schulter heraus, macht also eine Bewegung, mit der eine echte Katze Schläge austeilen würde, wenngleich die sich selten auf nur eine Pfote beschränkt. Katzen sind sehr effiziente Tiere.
- Ich glaube, ich habe Eure Vorstellungskraft schon ganz gut beansprucht, kann aber leider noch nicht nachlassen. Stellt Euch nun die beiden, mit großer Mühe beschriebenen, Winktechniken als Mischung vor, ausgeführt von mir völlig unbekannten Menschen, die mit ihrem freundlichen Lächeln und einer etwas rundlichen Gesamterscheinung ohnehin schon sehr fröhlich wirken. Da gibt es nur eins: ich begegne ihnen mit einem Lächeln ins Gesicht.
Natürlich waren die drei nicht völlig unbekannt, zumindest ich ihnen nicht, wir hatten bereits am Vorabend an gleicher Stelle gemeinsam Alkohol vernichtet, erst mit Donald & Daisy, und dann mit Daniel. Aber wer mich kennt weiß, dass ich Menschen zwar mag (zumindest nette), aber mir schwer welche merken kann. Bei der riesigen Menge an netten und unterhaltsamen Menschen, die ich von der ersten Minute an kennen lernen durfte, war ich schon am zweiten Tag gegen Mittag völlig überfordert. Zum Glück ist wenigstens die Erinnerung an Donald, Daisy & Daniel schon nach wenigen Worten ihrerseits zurück gekehrt, und wir hatten wieder einen sehr netten Abend.