Zwölf Uhr mittags, der Koffer ist gepackt. Das muss er auch, denn gleich kommt die Putze und kehrt mich aus dem Zimmer. Ach nein, die streitet ein ganzes Stück weiter mit ihrer Chefin. Ich gehe trotzdem, ziehe den großen Koffer nicht ohne Mühe zum Aufzug, um ihn dann drei Etagen tiefer schwitzend einmal quer über die glühendheiße Anlage bis hin zur Rezeption zu zerren. Leider hat der Aufzug seit neuestem die Dackelkrankeit: Drückt man im 3. Stock den Rufknopf, kommt er oder auch nicht. Kommt er nicht, steht er mit offener Tür im 2. Stock. Dann könnte man eine Etage nach unten laufen und dann einsteigen und weiter nach unten fahren. Oder auch nach oben. Heute habe ich aber den Koffer dabei, den müsste ich vor der Aufzugtür im 3. Stock stehen lassen. Das möchte ich nicht. Ich könnte ihn auch die zwanzig Stufen bis zum 2. Stock tragen. Das möchte ich erst recht nicht. Also muss ein Plan B her. Und der bedeutet, ich ziehe den Koffer in den offenen Gängen im 3. Stock durch den größten Teil des riesigen Gebäudes, bis zu der Stelle, wo die Zwillingsaufzüge sind. Wie immer, rufe ich den linken, und wie immer, kommt der rechte Aufzug. Ich glaube wirklich, links ist gar keiner. Unten angekommen, geht es noch fünfzig Meter weiter durch die schwüle Hitze, und dann in die leicht muffige Eingangshalle. Der Rezeptionist nimmt huldvoll meine Schlüsselkarte entgegen, winkt mich weg, und vergisst in seiner dominikanischen Gründlichkeit, dass ich auch die Karte für mein Strandtuch abgeben müsste. Die habe ich auch gar nicht, darum lege ich ihm - nicht ohne Schadenfreude - alternativ das noch ziemlich nasse Handtuch auf die Theke. Koffer in den Warteraum, und weil es noch kein Mittagessen gibt, geht es erst einmal in die Bar. Und während ich mir den letzten Cuba Libre dieser Reise schmecken lasse, beobachte
ich wieder einmal Menschen: eine frisch angereiste amerikanische Gruppe sehr junger, meist weiblicher Mitglieder, die binnen Minuten die gesamte Cocktailkarte bestellen, alles gegenseitig probieren und nichts schmeckt, aber alles wirkt. Oder zwei Paare aus Dunkeldeutschland, die mir schon länger auffallen, ein junges, bestehend aus einer coolen Blondine und einem sanft aber sehr männlich wirkenden Kraftprotz, und ein ganz junges, bestehend aus einem Boygroop-Softie und einer Barbie-Zicke. Die Blondine wirkt sehr relaxed und abgeklärt, und kümmert sich mit der Hingabe einer großen Schwester um die Barbie, die von Tag zu Tag - sagen wir - emotional ein wenig instabiler wirkt. Hatte sie Anfangs ihre "Auftritte" noch genossen, wenn sie aufgestylt und mit Model-Lächeln im Speisesaal erschien (eine Dreiviertelstunde nach den drei anderen, was sich auf ein gemeinsames Essen eher kontraproduktiv auswirkt), schien sie über die Tage immer unzufriedener und begann augenscheinlich ihr Interesse vom Bubi zum Mann zu übertragen, also auf den der Blondine, was diese nicht störte, und ihr Partner lediglich mit Höflichkeit beantwortete. Ab und zu ging er mit Barbie zum Rauchen, was ihr gefiel, sie augenscheinlich stolz machte, und was ihrem Freund nicht passte. Ob es an ihrem Interesse an dem anderen Mann oder nur am Rauchen lag, konnte (und wollte) ich nicht ermitteln. Jedenfalls zeichneten sich Unterhaltungen zwischen Barbie und Bubi gegen Ende der Reise dadurch aus, dass Barbies keifende Stimme immer dann zu hören war, wenn sie das Wort an Bubi richtete. Wenn überhaupt.
Kurz vor Abflug habe ich sie dann aus den Augen verloren: Blondine und Kraftprotz in vertrauter Einigkeit, Bubi niedergeschlagen und mit hängenden Schultern, und Barbie mit zickigem Gesicht allein: Im Flugzeug, und auch in Frankfurt, wo sie am Kofferband allein mit ihrem riesigen Koffer kämpfte. Ich vermute, auf der Hinreise hatte sie noch Hilfe.
Zurück zur Bar, denn ich kann einfach nicht aufhören, ohne noch einmal über die Dominikaner her zu zi.. ich meine, von den Dominikanern zu erzählen. Also - ich sitze an der Bar, wie schon erwähnt, vor meinem letzten Caipi, der sich dem Ende zu neigt. Eine Küchenhilfe kommt rein mit einem Servierwagen voller frisch gespülter Gläser. Es sind Weingläser, aufrecht stehend, und die Küchenhilfe setzt sie auf die Theke um, indem sie von oben immer in drei Gläser hinein greift und sie umstellt. Zweifellos hat sie gewaschene Hände, aber so etwas ohne Handschuhe ist dann doch etwas unhygienisch. Aber gut, wir sind hier in der Dom.Rep., denke ich mir, da haben sie es nicht so mit Qualität. Erst recht nicht mit Qualitätskontrolle, außer bei den Zimmermädchen. Aber es ist wie in einer dummen Komödie: die Küchenhilfe verschwindet, und keine fünf Minuten später erscheint eine kleine. spanisch aussehende Frau mit Haarnetz, sehr strengen Gesichtszügen, dicker Brille, und - nicht ganz passend dazu - einem rosa T-Shirt, das mit pinkfarbenen Herzen bedruckt ist. Im Arm trägt sie ein Klemmbrett für Notizen, und die Hände stecken in blütenweißen Handschuhen. Hinter ihr laufen der Küchenchef sowie zwei Herren vom Management und saugen jedes ihrer Worte auf. Klar zu erkennen: die kleine Dame hat eine wichtige Funktion, vielleicht kommt sie sogar direkt aus der Firmenzentrale auf Mallorca. Sie führt ein strenges Regiment, und ist so klein, dass sie kaum über die Theke schauen kann. Und vielleicht bringt ihr genau das den richtigen Blickwinkel, denn zielstrebig geht sie auf die frisch aufgestellten Weingläser zu, und präsentiert ihrer Begleitung und dem anwesenden Personal die Fingerabdrücke, die die Küchenhilfe auf, besser gesagt in den Gläsern hinterlassen hat. Eifrig notiert die kleine Frau den großen Mangel und lässt die Herren vom Management die beanstandeten Gläser wegräumen. Danach zieht die Karawane weiter. In einem europäischen Fünf-Sterne-Hotel würde sich das Personal jetzt wahrscheinlich betreten ansehen und leise über das diskutieren, was die QS-Dame gerade verlangt hat, mit dem Ziel, es das nächste Mal besser zu machen. Anders hier: Als sie außer Sicht- und Hörweite ist, beginnt das Personal, sich lautstark über die gerade erlebte Aktion lustig zu machen und herzhaft zu lachen. Wir sind halt nicht auf Mallorca.
Ich trabe zum letzten Mittagessen, sozusagen der "Henkersmahlzeit" vor der Heimreise. Man merkt, dass der Küchenchef heute anderweitig beschäftigt war, und so fällt der kulinarische Abschied leicht. Der andere auch. Früher wollte ich häufig auch nach einer langen Reise nicht so gerne heim in den täglichen Wahnsinn, aber seit ich immer Urlaub habe, ist es zuhause auch ganz angenehm.
In diesem Sinne bedanke ich mich bei Euch, dass Ihr es so lange mit mir ausgehalten habt, und freue mich auf unsere nächste gemeinsame Reise.
Euer
Captain Spareribs