Es gibt hier viele verschiedene: Die nautische Mannschaft, die guten Geister des Hotels, und die Gäste, die man offiziell Passagiere nennt. Warum auch immer. Als ich letztes Jahr auf Reha musste, hätten die meisten Klienten dort viel eher diesen Titel verdient. Jedenfalls gab es dort bei vergleichbarer Belegung deutlich weniger Rollatoren, Gehhilfen und graue Haare zu sehen. Auch weniger Glatzen, trotz Onkologiestation. Bevor ich weiter schreibe: ich möchte mich sicher nicht lustig machen über jedwedes Gebrechen irgendeines Menschen. Vielmehr soll jeder etwas zu lachen haben.
Die nautische Mannschaft werde ich hier überspringen, denn die macht nur professionell und unauffällig ihren Dienst und ist nicht lustig, außer wenn der Captain Hansen wieder einmal seine "Meldung von der Brrrrügge" in lustigem deutsch unter die Leute bringt. Unverulkt bleiben sollen auch all die Leute, die für Sauberkeit sorgen, in der Küche schuften, alles instand halten und, und... halt, zum Thema Instandhaltung habe ich einen. Wer "Verrückt nach Meer" sieht weiß, dass es immer ein paar Praktikanten gibt: Einen in der Küche, mal einen Nautiker, oder jemanden an der Rezeption. Diese Praktikanten sind echt, aber um so eine Stelle zu kriegen muss man sich nicht an die Reederei wenden, sondern - Überraschung - ans Fernsehen. Das war noch nicht der Witz. Also, im Bus von Mailand nach Genua saß neben mir ein ganz junger Mann, der neue Praktikant für die Bordschreinerei. Intelligent, gutaussehend, nur an seinem Dialekt muss er noch arbeiten, sonst braucht er Untertitel. Jedenfalls haben wir uns super verstanden, und als ich beim verabschieden äußere, dass es schön wäre, wir könnten an Bord auch einmal quatschen, sagt er: "Mach einfach was kaputt. Dann schicken die höchstwahrscheinlich mich zum reparieren." Nein, das habe ich nicht ausprobiert, bis jetzt. Aber lustig wäre es schon. Zumal die Möglichkeit besteht, dass er ein Kamerateam im Schlepptau hat.
Meine Kabinenstewardess ist auch so eine Ulknudel. Abends, wenn sie zum turn down kommt (Vorhänge zu, Nachtlicht an, Obstkorb auffüllen, Betthupferl hinlegen) bin ich meistens noch nicht weg zum Abendessen und sitze deswegen in der Kabine. Wenn sie rein möchte, klopft sie so leise wie sie klein ist oder vielleicht auch gar nicht, reißt die Tür auf und erschrickt dann fürchterlich, weil sie ja nur in leere Kabinen gehen soll. Mir macht es normalerweise nichts, und beim duschen hat sie mich noch nicht gestört. Es wäre lustig dann ihren Gesichtsausdruck zu sehen, aber ich würde es nicht, denn ohne Brille sehe ich nur einen hellen Fleck. Oder duscht jemand von Euch mit Brille?
Am liebsten mag ich aber die Kellner im Restaurant, die Pfleger sozusagen. Die tun immer völlig überzeugend so als lieben sie ihren Job und ihre Gäste, winken schon von weitem um einen zum gewünschten Platz zu lotsen, versuchen sich mit den Patienten zu unterhalten, und verwöhnen einen nach Strich und Faden. Wenn sie am Frühstücksbufett jemanden sehen, der es mit seinem Teller nur mit Mühe zurück zum Platz schafft, und das kommt oft vor, dann tragen sie ihm den Teller hin. Weiß gar nicht, warum sie das mit mir neulich auch gemacht haben. Ich war nur deshalb so langsam, weil ich einem gehbehinderten den Vortritt gelassen habe beim Laufen gegen die Strömung...
Normalerweise bekomme ich einen netten Zweiertisch für mich alleine, aber manchmal setzen sie notgedrungen noch jemanden dazu. Interessant, wenn man auf Omas steht. Mit zwanzig hätte ich mich über die Gesellschaft einer zehn Jahre älteren Frau wahrscheinlich gefreut. Heute müsste sie schon sehr besonders sein, so wie Iris Berben oder Agneta Fältskog.
Einmal hatte ich Gesellschaft von einer handfesten adipösen Fränkin, die aber immerhin noch Herrin ihrer Sinne und leidlich unterhaltsam war. Ein anderes Mal saß bei mir eine magere "feinen Dame" aus dem ehemaligen Schlesien. Die war für maximal eine halbe Stunde geringfügig unterhaltsam, danach kannte ich ihre Geschichte, ihre Krankheiten, ihre Einstellung zur Schulmedizin, ihre verrückten Ansichten über jegliche Verschwörungstheorien, und so weiter. Und das alles, obwohl ich sie bei der lauten Umgebung kaum verstanden habe. Sie ist mir in den folgenden Tagen dann noch ein paarmal über den Weg gelaufen und hat mich zugetextet, angeblich zufällig. Mag sein. Aber dafür hat sie die Gelegenheit gut genützt.
Von allen "normalen" männlichen Gästen bin ich der einzige, der noch keine grauen Haare hat, und das merkt man. Viele Leute denken, ich bin gar kein Gast, sondern irgendein Künstler vielleicht, und im Moment, während ich das schreibe, auf Deck 8, weil meine Kabine noch nicht fertig ist, stehe ich im Fokus von gleich mehreren Frauen des klassischen Typus: rüstig, sympathisch vielleicht, mindesten 70, weiße Haare im typischen Männerhaarschnitt der guten deutschen älteren Frau, nein, ich lächele nicht zurück. Ich tue so, als hätte ich nichts bemerkt.
Nachdem sie jetzt hinter mir den Grill angeworfen haben und das Deck sich sehr langsam aber unaufhaltsam mit hungrigen Patienten füllt, (hungrig auf das BBQ), suche ich mir mal einen neuen Platz woanders.
Gefunden. Die Kabine ist endlich fertig. Zurück zu den Menschen...
Es gibt an Bord ein Vierergespann, bestehend aus zwei Pärchen, die optisch immer sehr auffallen. Alle vier sind groß und schlank. Die Männer tragen meist maritime Kleidung, viel weiß und helles blau, kurze Haare, wenig Ausstrahlung. Die Frauen sind auch beide groß und schlank, sehr hübsche Beine, perfekte Figur, und auch sonst mit Rundungen an den richtigen Stellen versehen, kein Gramm zu viel, aber auch keins zu wenig. Meistens tragen sie sehr kurze Sachen, dazu hohe Stiefel oder Glitzerschuhe. Überhaupt ist ihre Garderobe sehr auffällig und glitzernd, so wie man in den neunzigern in die Disco gegangen ist. Nur die Frisuren passen nicht dazu. Beide tragen blondierte, betonierte Lockenköpfe wie sie in den frühen siebzigern modern waren. Schlimm wird es, wenn man sie von vorn sieht: Keiner der vier ist unter sechzig. Und das sieht man auch, vor allem bei den Frauen. Als die vier gestern aus dem Restaurant gehen, stupst mich ein Kellner an, deutet unauffällig auf die Frauen und raunt mir zu: "Spice girls" spontan schüttele ich den Kopf und antworte mit "Spice grannies!". Er verliert vor Lachen fast die Beherrschung, geht zum nächsten Kollegen, und ich kann beobachten, wie sich der Gag unter den Kellnern fortpflanzt quer durch das ganze Restaurant.
Ursprünglich hatte ich irrtümlich vermutet, die vier würden zur Fernsehproduktion gehören. Die mögen nämlich so schräge Typen. Bis ich sie habe reden hören. Ihr tiefer dunkeldeutscher Dialekt müsste nämlich untertitelt werden.
Später an der Bar unterhalte ich mich mit drei verschiedenen Leuten, unabhängig voneinander. Und ebenso unabhängig voneinander beschwert sich jeder von ihnen über die vielen alten Leute hier. Lustigerweise ist keiner der drei unter 75. Aber was ist das? Fröhliches Jungmädchenlachen dringt an mein Ohr. Sollte doch noch Hoffnung bestehen? Nein, es sind nur die beiden schon erwähnten Geigenspielerinnen auf dem Weg zu ihrem heutigen Auftritt.
So vergehen die Tage im schwimmenden Altersheim. Malta haben wir jetzt auch erledigt.