Dienstag, 21. November 2023

3. Seetag

Dies ist jetzt meine 14. Kreuzfahrt. „Schon“ meinen die meisten meiner Freunde und Bekannten, „erst“ würden nicht wenige der hier an Bord befindlichen Kreuzfahrtveteranen sagen. Gestern zum Beispiel hat man die meist gereiste Passagierin an Bord geehrt, die sich gerade auf ihrer 97.(!) Kreuzfahrt befindet. Die 100 will sie noch voll kriegen, weil das eine runde Zahl ist. Respekt! Nachdem die Dame aber ihren 90. Geburtstag bereits hinter sich hat, würde ich ihr raten, vorsichtshalber nicht immer so lange Reisen zu buchen. Es wäre dann etwas einfacher, das gesteckte Ziel noch zu erreichen. Aber ich verplaudere mich…

Phoenix, also der Betreiber der Artania und ihrer schiffigen Kolleginnen, stellt täglich zwei Printmedien für seine Gäste bereit, das Tagesprogramm und eine kompakte Tageszeitung, jeweils vier Seiten stark. Ich glaube, die werden mittlerweile von Praktikanten erstellt, oder von Leuten, die nicht genügend Zeit oder Lust dazu haben, oder einer Kombi aus zwei oder allen drei genannten Gründen. Zum einen die Tageszeitung: sie besteht aus drei Seiten kompakten Nachrichten aus Deutschland und der Welt. Die vierte Seite beschäftigt sich mit Sport. Die ersten drei Seiten strotzen nur so vor Recgstchreibfühlern und Trenn-ungen, die vierte lese ich in der Regel nur sehr selektiert. Aber immerhin: die Schreibweise von Max Verstappen (und auch seinen Kollegen) haben sie bisher noch nicht verfehlert. 

Beim Tagesprogramm ist die Fehlerquote nicht ganz so schlimm. Das liegt zum einen daran, dass aufgrund der seniorengerechten Schriftgröße nicht ganz so viel drin steht, und die meisten Fehler die typischen copy-and-paste-Probleme sind. Heute darf man zum Beispiel die Brücke besuchen, aber nur in kleinen Gruppen. Die Liste sieht ungefähr so aus:

10.00 Gruppe A

10.15 Gruppe B

10.30 Gruppe C

10.15 Gruppe D

10.30 Gruppe E

Nein, nicht ich habe mich vertan, das stand (mal wieder) so oder so ähnlich im Programm. Auch die früher bewunderte, kreative Bezeichnung der Seetage hat nachgelassen: stand im Katalog noch etwas von „Urlaub auf See“, präsentiert das Programm den heutigen Tag wieder als „Erholung auf See“. Dazu kommen natürlich eventuelle Missinformationen, die bei der abendlichen Drucklegung noch keine waren. (z.B. Bus fährt - ach nein, Bus fährt doch nicht). Zugegeben, dafür kann keiner was. Schade aber, dass es die Korrekturen nicht in der gut gemachten Bordapp, sondern nur per Lautsprecherdurchsage gibt. Und die höre ich nicht, wenn ich gerade beim duschen, rasieren oder sonstigen sanitären Verrichtungen bin. Oder auf dem Balkon. Ach nein, ich habe ja gar keinen…

Aber ich habe einen Termin zur Brückenbesichtigung, sowie alle anderen, die in Miami zugestiegen sind. Und der Rest? Der hatte seine Chance sicherlich während der ersten Hälfte der Reise, irgendwo zwischen Bremerhaven und Miami. Ich bin in Gruppe E, die korrekte Zeit ist 11.30 Uhr. Die Gruppeneinteilung, nur falls es Euch wirklich interessieren sollte, wurde nicht gewürfelt, sondern hängt davon ab, auf welchem Deck man wohnt. Eine an Bord bewährte Methode, die Gäste aufzuteilen wenn nötig. Ich kenne die Brücke schon von meiner letzten Reise, aber da lag das Schiff im Hafen. Eine Besichtigung während der Fahrt ist dann eine neue Erfahrung. Ebenso wie heute eine weitere neue Erfahrung für mich beginnt: die längste Etappe meiner ersten Atlantiküberquerung per Schiff. Sechs Seetage am Stück liegen vor mir, zum ersten Mal. Ich könnte die Spannung noch verstärken, aber es ist nur ein Seetag mehr als der Weg von Teneriffa nach Bremerhaven, und das hatte ich bereits im Frühling.

Inzwischen wurde die Gruppe E über eine sonst gesperrte schmale steile Außentreppe (was hier Niedergang heißt, auch wenn man hoch steigt) auf die Backbordnock (das ist der an der Brücke links angebrachte Balkon, von dem aus man das Schiff beim An- und Ablegen steuert, weil man von da aus mehr sieht) hinein in das Allerheiligste. Vorher gibt es noch Verhaltensmassregeln bezüglich der „Brückengeheimnisse“: hieß es im Hafen noch „nichts anfassen“ aber „alles fotografieren und filmen“, wobei die Displays einiger Geräte abgedeckt waren, sagt man uns diesmal „keine Nahaufnahmen“. Dafür ist auch nichts abgedeckt, was auch doof wäre während der Fahrt. Das schöne ist: das klassische Busfahrerverbot gilt hier nicht. Die dreiköpfige Brückenbesatzung hat im Augenblick sowieso nichts weiter zu tun, als dem Schiff beim geradeaus fahren zu zu sehen, und unterhält sich bereitwillig mit den Gästen.

Die verantwortliche Brückenoffizierin, eine schlanke Blondine von vielleicht Mitte zwanzig, fast zu hübsch um echt zu sein in diesem Job (was ein böswilliges Gerücht ist, alle weiblichen Kapitäne und sonstigen weiblichen Offiziere, die ich im Internet gefunden habe, waren alle keine „Mannweiber“ sondern ansehnlich bis hübsch) und hat eine unfassbare Ausstrahlung, ich meine jetzt jobmäßig: sie kommt extrem kompetent rüber (das muss sie auch sein, schließlich ist sie nach Captain und Staffcaptain die dritte Schicht in der Schiffsführung), sie weiß genau, was sie sagt, wie sie es sagt, kein Wort zu viel, keins zu wenig, mit einer klaren, angenehmen Stimme, die nötigenfalls befehlen kann, und das alles ohne die ins männliche abgleitende Härte, die vielen kommandierenden Frauen zu eigen ist. Ansonsten ist sie absolut tiefenentspannt. Interessant finde ich ihre Uniform: zu der üblichen weißen Offiziers-Hemdbluse trägt sich nicht die dazugehörige lange schwarze (manchmal auch weiße) Hose der Nautiker, sondern den dunklen kniefreien engen Rock der Hotel-Offizierinnen. Das tun, glaube ich, nicht viele ihrer immer mehr werdenden Kolleginnen auf den sieben Weltmeeren, aber warum nicht. Wir haben über 30 Grad im Schatten, in der Luft und auch im Wasser, sowohl im Pool als auch im Meer.


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