Zwei Häfen hintereinander, ohne ein bis mehrere Seetage dazwischen! Was im Mittelmeer eine Selbstverständlichkeit wäre, bleibt auf dieser Reise die ganz große Ausnahme. Gestern nacht sind wir den SLS zunächst in umgekehrter Richtung gefahren, und dann Richtung Nord-Nord-West in den Saguenay-Fjord abgebogen, an dessen Ende wir heute angelegt haben. Gleichzeitig schein es das Ende der Welt zu sein. Es gibt ja viele Orte, die so etwas von sich behaupten, aber ich denke, für Kreuzfahrtschiffe ist das hier. Tatsächlich erweitert sich der Fjord hier in Saguenay so weit, dass man ein so langes Schiff problemlos umdrehen kann, was der Captain wohl schon heute Nacht gemacht hat, denn wir liegen in der richtigen Richtung zum Auslaufen.
Ja, und da haben wir unseren Salat: eine wunderschöne hügelige Landschaft, 30-40 Häuschen, eine Boulangerie (Bäckerei), ein paar andere Geschäfte (unter anderem eine Animalerie, also ein Zoogeschäft (tolles Wort, finde ich. Französisch hat einfach Stil, also, die Sprache). Ich möchte aber kein Katzenfutter kaufen, sondern hätte gerne ein paar Souvenirs, und gerate dabei in ein kleines Museum. Als ich schon wieder gehen will, erwischt mich eine Art Wachmann und fragt mich irgendwas, wahrscheinlich, ob er mir helfen kann. Ich kann sehr schön auf französisch sagen, dass ich kein französisch spreche, was schon mehr französische Muttersprachler irritiert hat, von wegen „aber Du sprichst doch französisch“. Nicht so der Wachmann. Er fragt als nächstes in gutem Englisch, und schon sind wir im Gespräch. Er sagt, er hat leider keine Ahnung vom einkaufen, kann mir aber erklären, wo ich alle Geschäfte im Örtchen finden kann. Dann hilft er mir noch sorgfältig über eine Straße, wo sowieso kaum einer fährt, und verabschiedet sich höflich. Die Kanadier scheinen tatsächlich so nett zu sein, wie man immer sagt und schreibt.
Ich gehe also los, finde ein Café, einen Coiffeur, ein kleines Hôtel, und einen agent immobilier.
Alles nicht zielführend, aber bloß nicht aufgeben. Tatsächlich stoße ich irgendwann auf ein „Magasin General“, was nichts militärisches ist, sondern ein Dorfladen, und zwar einer von der Sorte, der wirklich alles anbietet, sogar eine schmale Auswahl an Souvenirs. Als ich habe, was ich will, suche ich nach der Kasse. In diesem Laden gibt es sage und schreibe drei Türen, jede in einer anderen Richtung, und jede verfügt über einen Kassenstand. Zwei davon sind unbesetzt, und am dritten sitzt ein sehr junges, sehr dünnes Mädchen, dass mit der vielen Teenagern auch bei uns eigenen arroganten Ausstrahlung auf ihrem Handy herumtippt. Ich krame in meinen letzten Fragmenten an französischen Vokabeln, werde fündig, und trompete ihr ein fröhliches: „Bonjour! Ici la caisse?“ (Guten Tag. Ist hier die Kasse?) entgegen. Und schon geht die Sonne auf. „Oui oui“ bestätigt sie, strahlt mich an wie ich noch selten angestrahlt wurde, tippt meine Einkäufe ein, fragt dann fürsorglich „Voulez-vouz“ nein, natürlich nicht was Ihr jetzt denkt, sie sagt „voulez-vouz un sac?“ Nein einen Sack brauche ich nicht für die paar Sachen. Späßle. „sac“ ist die Einkaufstasche, der Plastikbeutel, so etwas in der Richtung. Und auch wirklich ein Sack, denn man sagt „sac-à-dos“ für den Rucksack. Wahrscheinlich fragt Ihr Euch langsam, warum der dicke Mann immer behauptet, dass er kein französisch spricht. Tatsächlich kommt, wenn es muss, so manches wieder zum Vorschein, und ich liebe Sprachen. Aber kalt ist es hier, nicht im Laden, sondern draußen, zum ersten Mal seit vielen Monaten habe ich eine Jacke an. Ich weiß, das war keine gute Überleitung.
Einer der Einheimischen hier liebt den heutigen Tag ganz besonders, schätze ich mal. Er besitzt nämlich ein 8-sitziges Wasserflugzeug und lebt - zumindest teilweise - davon, dass er mit Touristen kleine Rundflüge macht, und vermutlich nicht allzu viel Geld dafür verlangt. Für heute hat TUI Cruises ihn komplett und exklusiv gebucht, vermutlich zu einem Preis, der beide freut, und das ganze für sehr viel Geld den Kreuzfahrern als Ausflug angeboten. Und komplett verkauft. Was die Nachfrage betrifft, hätte man ein zweites Flugzeug brauchen können, mit Pilot, versteht sich.
Als wir nachts zurück fahren, verschlechtert sich das Wetter unerwartet sehr stark. Aus Norden baut sich ein Orkan auf, der mit bis zu 150 km/h als katabatischer Fallwind in den Fjord stürmt. Er baut aufgrund der Enge des Fjords zwar keine Wellen auf, rüttelt aber mit aller Macht am Schiff und stellt es schräg wie ein Segelboot. Natürlich nicht so stark, aber man spürt schon, dass der Weg von Steuerbord nach Backbord leicht bergauf geht. Man darf nicht mehr raus und auch keine Balkontüren öffnen. Wie wir am nächsten Tag erfahren, ist die Situation nicht ganz unkritisch gewesen, denn durch unsere hohen Aufbauten haben wir ganz ohne Segel eine deutlich größere Segelfläche als die Gorch Fock (ein ehemaliges Segelschulschiff der Bundesmarine, die Jüngeren können sich vielleicht noch an den Finanzskandal bei der kürzlich erfolgten Renovierung erinnern, die Älteren an die Rückseite vom Zehnmarkschein, wo sie abgebildet war). Damit sind wir angreifbar gegen plötzliche Böen, und wenn man bedenkt, das der Fjord schmaler ist als unser Schiff lang, führt der Weg schnell mal ins Abseits. „Wir sind auf so etwas trainiert und gut darin“ erklärt der Captain am nächsten Morgen „Karibik in der Sonne kann schließlich jeder“. Wo er Recht hat, hat er Recht.
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