Donnerstag, 4. Juli 2024

Abenteuer Bahn

 Als mir heute morgen, im Bett, ganz spontan dieser Titel eingefallen ist, wusste ich natürlich noch nichts vom heutigen Tag. Aber ganz von vorn:

Es ist mein letzter Morgen auf der Vasco da Gama, und eigentlich müssten wir gerade in Bremerhaven anlegen. Tun wir aber nicht. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir - nur Wasser, über das wir mit der uns höchst möglichen Geschwindigkeit eilen. Viel ist das ohnehin nicht…


Da ich die Kabine schon um acht Uhr geräumt haben muss (welche Zumutung, da schlafe ich doch normalerweise noch!), mein Bahnhofsshuttle aber erst um 11.30 Uhr fährt, brauche ich eine vorübergehende Bleibe. Zu diesem Zweck hatte ich mir schon vor Tagen die unterste Etage des Atriums ausgesucht, wo es außer einigen durchgesessenen Sofas und Sesseln, etlichen Bistro-Tischen und Stühlen, jeweils einer Toilette sowie der an Bord allgegenwärtigen Überdekoration gar nichts gibt. Auch Menschen sind in diesem Bereich eher rare Ware, und darum will ich die letzten drei Stunden an Bord hier auf einem der durchgesessenen Sofas verbringen.

Frohen Mutes nehme ich mein Handgepäck, verlasse die Kabine und fahre mit dem - ach nein, am Abreisetag sind sämtliche Aufzüge dauerhaft von schwergängigen Mumien in Begleitung überdimensionaler Gepäckstücke belegt - laufe drei Decks tiefer, betrete das Atrium und bin ein ganz klein wenig überrascht, dass ich gerade noch einen Bistrostuhl bekomme. Binnen Minuten ändert sich der Raum von voll auf brechend voll, und ich werde allmählich den Gedanken nicht los, dass andere Leute einen ähnlichen Gedanken hatten wie ich.


Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir endlich da sind, eine weitere, bis die Fahrgastbrücke sitzt, und noch eine, bis die Behörden das Schiff endlich freigeben, das Gepäck ausgeladen werden kann, und die Leute, die ihres schon haben, von Bord gehen dürfen. Und auch solche wie ich, die ihren Koffer dem Tefra-Service (ein Kurierdienst für Gepäckstücke) anvertraut haben. Und das sollte sich als eine meiner besten Ideen ever erweisen. Zumindest für heute. Den Rest erfahre ich am Montag, wenn mir der Koffer nachhause gebracht wird (hoffentlich), aber dann wird diese Story längst beendet sein.

Obwohl der KD mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass die Umgebung der Gangway frei zu halten ist und nur die Gäste das Schiff verlassen sollen, die dran sind, gibt es erstmal eine so heftige Verstopfung von Deck 6 nach Deck 5 und den Gang entlang zum Ausgang, dass dagegen die jedes Abführmittel machtlos wäre. Wie fast immer im Altersheim: die Leute hören einfach nicht zu. Inzwischen liegen wir gut zwei Stunden hinter dem Zeitplan, was der KD mit der halbstündigen Schleusenverzögerung in Holland gestern erklärt. Ok, er ist Österreicher, aber haben haben die wirklich eine andere Mathematik?

Allmählich löst sich der Stau auf, und schließlich mache auch ich mich auf den Weg zu den Bussen. Dabei gehe ich weder über Los noch zu den deckweise aufgestellten Koffern sondern setze mich in den nächsten Shuttlebus zum Bahnhof. 


Los wäre jetzt gut gewesen, denn es gibt zwei Sorten Busse: einen vom Schiff, der konnte man im Abreisepaket enthalten, und einen von der Stadt, der kostet Geld. Wäre ja nicht schlimm, aber als er voll ist (nebst dem Gepäckanhänger) kommt die bis dahin abwesende Fahrerin zurück und erklärt, dass dieser Bus leider nicht mehr anspringt, und alle wieder aussteigen müssen. Ginge ja noch, aber die Koffer wieder rauspuzzeln mach sicher keinen Spaß. Zudem sind etliche Leute ohnehin ziemlich angefressen, weil sie aufgrund der Verspätung des Schiffs ihre supergünstigen Bahntickets mit Zugbindung jetzt in die Tonne drücken und neue kaufen müssen, die dann sicher nicht mehr so supergünstig sind. Zugbindung habe ich keine, und die geplante Verbindung erreiche ich wahrscheinlich auch noch. Trotzdem ordere ich vorsichtshalber mal schnell eine Platzkarte für den nächsten Zug, zwei Stunden später, die ich aber sicherlich nicht brauchen werde.

Am Bahnhöfchen von Bremerhaven kommt dann pünktlich ein RE an, fährt pünktlich los und kommt auch pünktlich in Bremen an, auf Gleis 7. Weiter geht es auf Gleis 6. Das könnte doch der gleiche Bahnsteig sein, oder? Könnte  ja, ist er aber nicht. Rolltreppen gibt es hier nicht, die Aufzüge sind ähnlich gefragt wie auf dem Schiff, auch von den selben Menschen, also: Treppe runter und auf der anderen Seite Treppe wieder hoch, um dann zu erfahren, dass man den Zug wegen einer Verspätung auf Gleis 3 verlegt hat. Immerhin, Verspätung vermeidet weitere Hetze. Also, etwas gemächlicher Treppe runter, auf der anderen Seite wieder hoch. Ich bin froh, dass ich im Urlaub Treppen steigen trainiert habe, eigentlich um am WE eine einigermaßen gute Figur zu machen, wenn ich die ca. 100 Stufen der Tribüne hochklettere, während alle, die mich kennen, schon oben sitzen und mich sehen können. Und noch viel, viel mehr froh bin ich, dass ich das gerade alles ohne Koffer machen konnte. Anderen geht es nicht so gut.


Aus den zwanzig Minuten Verspätung werden fünfundzwanzig, kein Problem, es geht ja jetzt durch bis Nürnberg. Der Zug ist wegen irgendwelchen Ausfällen ziemlich überfüllt, aber davon merkt man in der 1. Klasse nichts. Hier wäre noch etwas Platz.

Ich freue mich über das gut funktionierende WLan an Bord und mache eine Bestellung bei Rewe fertig, damit ich morgen früh nicht erst einkaufen gehen muss. Leider kann ich die Bestellung nicht abschicken, so gut ist das WLan auch wieder nicht. Alternativ lese ich ein bißchen, und als der kleine Hunger kommt, bestelle ich eine Kleinigkeit im Bord Bistro. Online. So gut ist das WLan dann doch wieder.

Nach kurzer Zeit, wir erreichen gerade Hannover und sollen hier an ein Zugteil vor uns angekuppelt werden, um dann gleich als langer Verband weiter zu fahren. Die Vereinigung passiert mit einem heftigen rumms, dann sind die Zugteile verbunden, und die Leute können aus- und einsteigen. Mit professioneller Routine verbindet der Lokführer die technischen Systeme der beiden Zugteile, wobei sich unerwartet und zum Schrecken einiger Ein- und Aussteiger sämtliche Türen schließen. Der Zugchef entschuldigt sich für das Versehen. Kleinigkeit, kein Problem, niemand hat sich weh getan und die Passagiere nehmen es locker. 

Nach zehn Minuten die nächste Durchsage, in relativ kleinlautem Ton: „Leider lassen sich die beiden Zugteile, trotz aller Versuche, nicht kombinieren“. Im Zug herrscht atemlose Stille. „Ich bringe wirklich nur sehr ungern schlechte Nachrichten, aber ich muss die Passagiere im hinteren Zugteil  (das ist der, wo ich sitze) bitten, in den vorderen Zugteil umzusteigen!“. Tumult, Koffer werden geworfen, man versteht das eigene Wort nicht mehr. Ein. verärgerter Mob wälzt sich - aufgrund der vielen Koffer nicht ohne Mühe - aus dem hinteren Zugteil nach draußen. Auf dem Bahnsteig wälzt sich eine aufgebrachte Stampede zusammen mit Tonnen von Gepäck den langen Weg zum vorderen Zugteil. Aber warum? Wie sollten die Passagiere aus unserem überfüllten Zug zusätzlich zu den bereits reichlich vorhandenen Passagieren noch in den anderen Zug passen? Warum werden keine alternativen Verbindungen angeboten? Man muss es nicht verstehen.

So viele wie möglich quetschen sich in die überfüllten Wagen. Selbst in der ersten Klasse ist nicht mehr der winzigste Stehplatz zu bekommen.

Der Zug fährt ab und hinterlässt einen Bahnsteig voller Gestrandeter, die sich jetzt selbständig um eine neue Verbindung kümmern. Ein Bahnbeamter sucht für mich in seinem handy und gibt mir die Auskunft, dass heute kein durchgehender Zug mehr nach Nürnberg fährt, was schlicht und ergreifend falsch ist. Ihr erinnert Euch an meine Extra-Platzkarte? Mit solchen Mitarbeitern, sorry, kann aus der Bahn nichts werden.

Nach einer halben Stunde leert sich der Bahnsteig, denn ein Zug nach München, der aber nicht über Nürnberg fährt, nimmt den größten Teil der Gestrandeten mit, während ich im handy meine Platzkarte für den nächsten, meinem Ersatzzug, suche. Leider spricht es nicht mit dem DB-WLan. Der Laptop seltsamerweise schon und zeigt mir nicht nur die Platzkarte, sondern schickt jetzt auch die Rewe-Bestellung ab.

Inzwischen ist es 16.20, in einer Stunde bin ich zuhause. Also, das war der Plan. Der jetzt einlaufende, pünktliche Zug soll gute drei Stunden bis Nürnberg brauchen. Er ist mäßig besetzt, mein Platz ist frei, und los geht’s. Ich bestelle mir per WLan einen Kaffee, das heißt, ich möchte es, aber das WLan geht in diesem Zug nicht. Gar nicht. Irgendwas ist immer. 

Zum Glück gehen manche Dinge auch analog: die nette Mitarbeiterin des Bordbistro läuft durch den Wagen, fragt was man möchte und man sagt es ihr einfach. Eigentlich ist das viel schöner als online.

Damit endet diese Reise, ganz ohne weitere Ereignisse. Also, fast, denn als der Zug um 19.45 Uhr Nürnberg erreicht, haben wir schon wieder zwanzig Minuten Verspätung…


Danke für’s fleißige Mitlesen. Bis zum nächsten Mal.


Euer

Captain Spareribs

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