Zeebrügge in Belgien, das Wetter ist regnerisch und grau, die Hafenanlagen sind nass und grau und sogar die Möwen sind grau. Nass vermutlich nicht, denn sie fliegen so locker wie immer, manche kommen sogar in Griffnähe an meinem Balkon vorbei. Ich bin noch müde, schleppe mich aber trotzdem ins „Waterfront“-Restaurant um zu frühstücken. Auch hier ist heute irgendwie alles grau, besonders die Haare der Gäste. Leider ist mein Lieblingstisch besetzt, und so gerate ich mitten hinein in drei völlig unterschiedliche Gespräche, alle geführt von unterschiedlich agilen Mumien um die achtzig: Links sitzen zwei Damen, die durch eines der großzügigen Panoramafenster beobachten, wie eine große Fähre mit Container-Fahrzeugen be- und entladen wird und in ihrer Unterhaltung kindliche Begeisterung dafür entwickeln. Rechts erzählt ein Ehepaar - eigentlich nur der Mann - von vergangenen Reisen und auch von zukünftigen, während hinter mir ein körperlich wie geistig gebrechlicher Herr seine noch gebrechlichere Frau lautstark mit politischen Wirtshausparolen zu textet. Das geht ungefähr so:
links: „guck mal, der schiebt aber ein großes Ding rein!“
„und der andere zieht eins raus. Und so schnell“
„wohin das Schiff wohl fährt?“
hinten: „nach Polen! Der Kanzler fährt nach Polen!“
rechts: „Österreich! Da machen wir unseren nächsten Urlaub“
„wie kommt Ihr da hin?“
links: „mit so einem kleinen Ding schiebt er die Kiste rein“
„Kaum zu glauben!“
rechts: „mit dem Fahrrad! Eine Woche lang“
hinten: „dafür wollen die Polen Reparationszahlungen“
links: „ob das teuer ist?“
„Bestimmt. Deshalb hat der sogar einen Doppeldecker“
„Kaum rein, schon wieder raus. Wie schnell der kommt!“
rechts: „das geht natürlich nur mit einem E-Bike.“
„Wisst Ihr, was am besten wäre?“
hinten, lautstark: „der Kanzler muss weg!“
Ich bin zwar nicht der Kanzler, aber an dieser Stelle verlasse ich das Restaurant. Auch wenn man hier verwöhnt wird - ich freue mich sehr auf Mahlzeiten mit wählbarer, alternativ ohne Geräuschkulisse.
Leider wird das Wetter nicht besser, nur der Wind stärker, und so muss Belgien ohne meinen Besuch auskommen, auch wenn ich die berühmten belgischen Fritten gerne einmal probiert hätte. Dafür erzähle ich Euch etwas über das Schiff, denn das ist in einer Hinsicht nämlich ganz, ganz modern. Will man bei MeinSchiff oder Phoenix etwas kostenpflichtiges trinken, nennt man seine Kabinennummer, unterschreibt auf Papier und bekommt eine Kopie des Belegs. Bei Phoenix hatten sie früher sogar kleine Mäppchen mit Fächern für die Bordkarte, den Lochkartenschlüssel und auch welche für die vielen, bei Durstigen sogar vielen, vielen Kopien der Belege. Seit einem der letzten Werftaufenthalte gibt es neue Schlösser an den Kabinen, was die Lochkartenschlüssel und gleichzeitig die Mäppchen abgeschafft hat. Die Bordkarte, mit ihrer neuen Zusatzfunktion als Kabinenschlüssel, trägt man nun an einem Halsband (oder in der Hosentasche), und die Belege werfen ohnehin die meisten Leute sofort weg. Aber ich schweife etwas ab.
Möchte man nun wissen, wieviel Kohle schon die Kehle hinunter gelaufen ist, gibt es zwei Informationsmöglichkeiten: den Fernseher in der Kabine, oder die Schiffsapp auf dem Smartphone. Beide geben gerne schnell und korrekt Auskunft.
Hier, auf der Vasco da Gama, sind wir sehr viel moderner. Die Kellner tragen Tablets oder Handys mit sich herum, auf denen man den Empfang seiner Getränke jeweils mit einer krakeligen Ein-Finger-Unterschrift direkt auf dem Display bestätigt. Kennen wir von Amazon, DHL und Kollegen. Keine Zettelwirtschaft, keine Kopien, nichts. Voll modern! Echt toll. Und wenn man das mit der Kohle wissen möchte, gibt es eine Methode, die ist so ultimativ neu, dass ihr davon bestimmt noch nie gehört und es auch nicht für möglich gehalten hättet, dass es so etwas gibt. Ich will es nicht allzu spannend machen, aber es ist so überwältigend, dass man die Methode patentieren sollte. Also, wenn man wirklich den Zwischenstand seiner täglichen Flüssigkeitsaufnahme wissen möchte, braucht man keine App, auch keinen Fernseher, sondern man geht einfach zur Rezeption, stellt sich an, und wenn man endlich dran ist, bittet man höflich um einen Ausdruck auf Papier. Wow!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen