Mittwoch, 3. Juli 2024

Nasse Füße? Nein danke!

 

Seit vier Uhr morgens jagt die Vasco da Gama ein kleines Lotsenboot durch das Kanalsystem vor Amsterdam, erwischt es aber nicht. Soll sie ja auch nicht, denn das Boot vor uns und der dazugehörige Lotse auf der Brücke bringt uns sicher zu einem der seltenen Innenstadt-Liegeplätze in Amsterdam, für die man mittlerweile außer Geld auch noch gute Beziehungen braucht, wegen der Umwelt, denn: wer Autos aus der Stadt verbannt, ist auch not very amused über Kreuzfahrtschiffe, denen man ja immer nachsagt, sie wären Dreckschleudern. Egal, wir sind heute da.

Leider schüttet es wie aus Eimern, und ich traue mich nur vom Schiff, weil wir eine überdachte Fahrgastbrücke benutzen können. Im Hauptgebäude des Cruiseterminals gibt es einen großen Souvenirstand, der fast alles hat was ich will. Und nach den Preisschocks in London ist es hier richtig günstig. Danach - zurück aufs Schiff. Kalt und nass durch Amsterdam schleichen macht nämlich keinen Spaß. Kühl ist es geworden, zum ersten Mal seit Wochen habe ich eine Jacke an. Eine dünne, während die anwesenden Altersheiminsassen dick eingemummelt sind. 

Eine Tischnachbarin liest aus dem Tagesprogramm vor: „heute Abend verabschiedet sich der Captain“. Wie doof denke ich mir, der soll uns doch morgen noch in Bremerhaven abliefern…

Nach zwei Wochen mit diesen Leuten bin ich wohl etwas seltsam geworden, und bekannt. Ok, ich falle vielleicht ein ganz kleines bißchen auf, denn auf diesem Schiff gibt es genau zwei Altersklassen: Die Älteren bis ganz Alten: das sind die Passagiere.

Die Jungen, zumeist in Uniform, manchmal auch nur mit Namensschild: die arbeiten hier.

Ja und ich. Zumindest optisch falle ich auf (heute wurde ich auf vierzig geschätzt, ernst gemeint, und die Dame hatte keinen Sehfehler!), und auch durch meine fast allabendliche Anwesenheit in der Poolbar, wo ich, fast immer am selben Tisch, mit guter Sicht, dadurch aber auch gut sichtbar, meine Geschichten zu Bits und Bytes mache, um sie anschließend ins Internet zu jagen. („zu Papier bringen“, wie man früher sagte, hat irgendwie künstlerischer geklungen, oder?)Ich werde öfter angesprochen, was ich da so mache, und stoße auf reges Interesse bei den Senioren. Manchmal fragt auch ein Kellner ganz verschämt (weil - man soll ja die Kunden nicht belästigen), und nicht selten brechen Passagiere angefangene Gespräche ab mit den Worten „ich will sie ja nicht bei der Arbeit stören.“ Seitdem klappe ich, so ich Lust auf Unterhaltung habe, direkt den Deckel zu. Das hilft. Tatsache ist, ganz viele Leute kennen mich jetzt, und ich werde ständig angesprochen. Da sind so die ganz einfachen, freundlichen Dinge, wie vorhin im Aufzug: „Ich kenne sie. Sie arbeiten immer so fleißig!“ Gut, ich habe den Laptop unterm Arm, das hilft beim Erkennen.

Oder total nette, wie gestern Abend. Ich schleppe mich im Atrium eine Treppe hoch, oben steht eine Frau, lächelt mich an, ausnahmsweise kriege ich es mit und lächle natürlich zurück. „Sie können ja doch lächeln!“ sagt sie ganz erfreut. „Ich beobachte sie nämlich schon seit Tagen“ (auwei, die stalked mich???), „und sie machen immer so ein böses Gesicht!“ Ich erkläre ihr wahrheitsgemäß, dass es sich dabei - jetzt lacht nicht, oder gerne doch - um einen von meiner Mutter geerbten Geburtsfehler handelt: entspannt sich mein Gesicht, zieht es sich in die Länge und sieht automatisch böse aus. Und ich bin hier an Bord eigentlich immer entspannt, aber auch glücklich. Die Erklärung versteht und akzeptiert sie. Wie schön. Aber es kommt besser:

Vor wenigen Tagen betrete ich das Pooldeck, da ruft eine Dame hinter mir: „Über sie haben wir gerade geredet!“ Jetzt redet man schon über mich?? Ich bin entsetzt.. „Sie wüssten das bestimmt!“ ja, was denn? „Da war gerade so ein komisches Schiff, da am Windpark, das ist ganz langsam gefahren, so vor zehn Minuten, da habe ich zu meinem Mann gesagt sie wüssten bestimmt was das für eins ist. Leider ist es weg. Es war rot und hatte einen Hubschrauberlandeplatz, aber auf den Seiten war es so niedrig, und…“ - „Nun lass doch den Herrn auch mal was sagen.“ meldet sich der Ehemann nicht ganz ohne Mühe zu Wort. Mit der einen Hirnhälfte suche ich noch eine angemessene Formulierung für „ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, und ich glaube du auch nicht“ frage ich meine andere Hirnhälfte, weswegen sie auf die Idee kommt, ich hätte tiefer gehende nautische Kenntnisse. Ich habe - da bin ich mir sicher - mit niemandem an Bord über Nautik gesprochen, höchstens mit dem einen oder anderen darüber, dass ich schon auf anderen Schiffen war. Erstaunlich viele der Gäste hier kennen nämlich nur die Vasco da Gama.

wie auch immer - ohne das seltsame Schiff gesehen zu haben, kann ich leider nicht weiter helfen. Mit möglicherweise auch nicht, aber einfacher wäre es schon.

Kleiner Zwischeneinschub zur Begriffsklärung für die nächste (und letzte) derartige Geschichte:

Gestern stehe ich am info-Stand der Bordreiseleitung und warte, dass ich dran komme. Was ihr wissen müsst: im Tagesprogramm steht dann „von zehn bis zwölf Uhr öffnet Katinka den Infostand und beantwortet ihre Fragen.“ Blöde Formulierung. Überhaupt, das Bordprogramm. Würde ich für jeden Rechtschreibfehler einen Euro kriegen, käme ich mit einem Guthaben nachhause. Aber ich schweife ab, daher zurück zum Infostand. Vor mir sitzt ein sehr gebrechlicher Mann, sagte er hätte da eine Frage, reicht der Katinka ein riesiges seniorengerechtes Android-Handy über den Tresen und bittet sie, ihr irgendetwas einzustellen, was er nicht checkt. Das ist jetzt keine von den Fragen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Könnte sie helfen, täte sie es trotzdem, so sind die Leute hier, aber sie gibt Handy zurück mit einem bedauernden „weiß ich leider nicht. Ich bin ein iPhone-Girl“. Der Ausdruck gefällt mir und bleibt deswegen im Gedächtnis. Zurück zu mir:

Ich sitze beim Abendessen, da steht die Dame von Nebentisch auf, eine guterhaltene 78-Jährige, kommt zu mir, grüßt freundlich und sagt: „Sie sind doch so ein Apple-Fan!“. Nun gut, richtig, aber woher weiß sie das schon wieder? Vielleicht gut kombiniert, wegen dem angebissenen Apfel auf meinem Laptop…

„Darf ich sie mal was fragen?“ Klar darf sie, und sie schildert mir ihr Problem: Plötzlich kann sie per WhatsApp keine Bilder mehr zu ihrem Mann schicken, und auch nicht er zu ihr, der hat nämlich bloß so ein Google Pixel, aber eigentlich da klappt alles, und bei ihrem iPhone nicht. In Gedanken formuliere ich den Begriff „iPhone-Granny“, während ich alle mir bekannten Probleme mit ihr durchgehe, leider ohne Erfolg.

Etwas später. Ich sitze wieder auf meinem „Arbeitsplatz“ von dem ich noch erwähnen muss, dass er eine akustische Besonderheit hat: Man hört hier praktisch alles, was auf dem Pooldeck geschieht. Und - wichtig zu wissen, ich habe es ausprobiert - auf dem Pooldeck hört man alles, was an diesem Tisch geschieht.

Ich überlege gerade einen besonders genialen Schluss für ein Kapitel, und da kommt er, in Gestalt des Mannes der iPhone-Granny. Er stellt sich vor mich hin, mit leicht errötetem Gesicht, erhitzt und freudestrahlend, und verkündet lautstark: „Stellen sie sich vor, mit meiner Frau klappt es wieder!“

Ich kann nicht anders, als ihm vollkommen ehrlich gemeint und ebenso laut zu antworten: „Das freut mich aber sehr, dass es mit ihrer Frau wieder klappt!!“





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