Samstag, 22. Juni 2024

Gewohnheit

 


Nach einer (seegangsmäßig) noch ruhigeren Nacht als der zuvor habe ich das morgendliche Wettrennen gegen den Kreuzfahrtdirektor gewonnen. Obwohl er schon um 8.20 losbrüllt, bin ich bereits eine Viertelstunde auf und überlege mangels eines besseren Plans, heute mal frühstücken zu gehen.


Der Kaffee ist scheußlich, der Service großartig (wie bisher immer auf diesem Schiff), und die Unterhaltung könnte von Loriot sein. Gespräch am Nebentisch:

Er, zu einem Tischnachbarn: Jetzt muss ich den Kaffee schwarz trinken, weil meine Frau die ganze Milch für ihr Müsli verbraucht hat!

Sie: du kannst doch noch welche bestellen!

er: alles hast Du verbraucht! Schon wieder!

Tischnachbar: sie können meine haben, ich trinke keine

er: nein, jetzt trinke ich meinen Kaffe schwarz! Mit Zucker!

sie: du nimmst doch nie Zucker!

er: aber schwarz schmeckt er mir nicht!

sie: mit Zucker aber auch nicht

er: daran bist nur du schuld!


Die Diskussion geht noch länger. Ihr müsst sie euch mit dem nörgelnden Tonfall alter Leute vorstellen, und mit dem Wissen, dass der Kaffee sowieso nicht schmeckt, auch nicht mit Milch und Zucker. Der lösliche auf der Kabine schmeckt erstaunlicherweise deutlich besser. 



Etwas später, Location: eine öffentliche Toilette nahe dem Restaurant, zwei Pissoirs von denen eins kaputt, das andere aber frei ist, eine besetzte Kabine, und eine kleine, sich stetig erweiternde Warteschlange alter Männer. Ich frage mich, ob man die Männerwelt, selbst die ältere, inzwischen so zu Sitzpinklern umerzogen hat, dass sie nicht einmal mehr ein Pissoir benutzen? Nein, das war noch nicht der Gag dieses Abschnitts, der kommt jetzt: Als die Tür aufgeht und der nächste alte Mann den Raum betritt, hört man den Gießkannentenor der Frau vom Frühstück laut rufen „Berte! Bist Du noch da?“ und bevor die Tür zufällt, kommt aus der besetzten Kabine in einem hohlen, etwas gequetscht klingenden Tonfall: „ja, hier, ich lebe noch“. Wumm, ist die Tür zu. Aus Höflichkeit lache ich nur nach innen, aber tatsächlich zerreißt es mich fast. Der Tag fängt ja gut an! Bis auf das Wetter. Wir liegen in einem tristen Industriehafen, und ich bleibe einfach an Bord.

Eigentlich wollte ich Euch noch etwas über das Schiff erzählen, aber das mache ich dann - Späßle, heute, zumindest ansatzweise. 

Das Schiff wurde 1993 als Luxusschiff für die Holland-America-Line gebaut und hat seitdem mehrfach den Besitzer gewechselt, jedesmal mit aufwendigen Umbauten, ohne aber den eher 70-er Jahre Charme zu verlieren. Mit 220m (also 0,66 Schiffslängen) ist sie etwas kürzer als die Artania, aber 2m breiter und 3 Decks höher, hat also eine eher pummelige Figur, so wie ich. Betrieben wird sie von Nicko Cruises, den man eher als Spezialist für Flusskreuzfahrten kennt. Die Vasco da Gama ist deren einziges Hochseeschiff gegenüber von mehr als zwanzig Schiffen für Flusskreuzfahrten.

Obwohl für deutlich mehr zugelassen, werden nur Kabinen für 1.000 Passagiere vergeben, was allzu heftiges Gewimmel vermeidet. Trotz der niedrigen Passagierzahl gibt es drei Bedien-, ein Buffet- und ein Imbissrestaurant mit jeweils eigenen 



Speisekarten, dazu ein Grillrestaurant gegen günstigen Aufpreis. Außerdem haben wir - wenn ich richtig gezählt habe - sieben Bars, jede in einem eigenen Stil, aber leider fast alle ohne Barhocker. Barbaras Rhabarberbar ist nicht dabei, und die hieße hier sicher auch Barbara’s Rhubarb Bar, denn die englischen Namen für alles hat man aus der Zeit von Holland-America und später P&O Australia behalten. deswegen wohne ich auch auf dem Verandah-Deck (kein Dreckfuhler!) 




in einer Kabine, die mit ihren gediegenen Holzmöbeln, den tapezierten Wänden und dem großen Ledersofa eher einem Chefbüro aus den Siebzigern ähnelt. Einen Balkon gibt es auch, so groß, dass ihn andere Companies als Veranda (ohne „H“) vermarkten würden, und - so etwas habe ich noch auf keinem Nicht-Luxus-Schiff gesehen, also noch nie - in meinem Bad steht eine Whirlpool-Badewanne. Unfassbar!

Ansonsten findet man auf diesem Schiff einen großen Fitnessraum, ein richtig großes Theater, 



zwei Pooldecks, von denen eines ein bewegliches Dach hat, 




ein Kino, wie ihr schon wisst einen Spa, vermutlich auch Friseur und Nagelstudio, ein kleines Einkaufszentrum mit teuren Sachen, die man nicht braucht, und über 500 Besatzungsmitglieder, von denen einen viele - also diejenigen, die direkt am Gast sind - unfassbar verwöhnen. Also, ich bin ja schon verwöhnt, aber was hier geboten wird, toppt alles bisher da gewesene.

Bevor ihr einschlaft noch ein Schlusswort zur Optik: Die öffentlichen Bereiche bestechen durch viel poliertes Metall, schöne saubere Polster und Teppiche, und echtes Teakholz in den Außenbereichen. Die Deko - nun, da sieht es aus, als hätten sich Tine Wittler und Eva Brenner eine Riesenbattle geliefert. Zum Glück haben sie vor den Kabinen halt gemacht.

Meine persönlichen Highlights sind die Möpse der Rezeption…nein, verhaspelt, die Möpse im Rezeptionsbereich 



und die Lampenfüße im Captain’s Club. 




Die Delphine am Pool dagegen finde ich nicht so prickelnd. Die Artania hat im Atrium auch so eine häßliche Plastik, vergleicht mal selbst:





Vasco da Gama










      MS Artania

2 Kommentare:

  1. Hallo André
    Wenn man deinen Geschichten liest, was ja eigentlich keine Geschichten sind, da du es ja live erlebt hast, fühlt man sich als wäre man mit auf reisen. Und ich wäre vorbrachten fast von der Couch gefallen bei deinem Satz mit Tine Wittler und Eva Brenner.

    Das lesen macht immer wieder Spaß und man wartet schon auf den nächsten Eintrag.

    Gruß
    Martin

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  2. Hallo Martin,
    vielen Dank für Deinen netten Kommentar. Ich habe mich sehr darüber gefreut, und so etwas motiviert mich sehr zum weiter machen.
    André

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