Freitag, 28. Juni 2024

Ein halber Seetag

 


St. Malo, kalter Wind, etwas bewegtere See. Draußen herrscht mächtig Ebbe, im Meer, und in der Sportsbar, wo man - wie gestern - eine Nummer ziehen muss, wenn man tendern möchte. Das ist ungefähr wie beim Doc im Wartezimmer, nur dass beim tendern immer sechzig auf einmal drankommen. Ich glaube, die kriegen wir heute gar nicht zusammen, und schon bald wird die Nummernverteilung eingestellt und etwas später zwei der vier Boote wegen Langeweile aus dem Verkehr genommen. Außer mir waren gestern wahrscheinlich schon alle tenderfähigen drüben gewesen und wollen heute nicht noch einmal. Ich aber auch nicht.

Ich wollte den heutigen Vormittag nützen, um ein wenig in den Innenbereichen des reich dekorierten Schiffs möglichst spektakuläre Geschmacksverirrungen abzufilmen, gerade heute, in Erwartung, dass das Schiff halbwegs leer ist und einem nicht ständig die Hundertjährigen vor die Linse geraten. 


Sie sind aber alle da, doch das ist nicht schlimm. Der einzige Seniorenbatzen bildet sich nämlich zentriert vor der Rezeption, wo man lautstark Beschwerden darüber hört, dass wir Guernsey nicht anlaufen. Bestimmt sind auch die lauten Damen von gestern Abend darunter, weil sie ja nicht zugehört haben. Außerdem finden sich in der Warteschlange relativ viele Menschen mit Rollstühlen, Rollatoren und vermutlich defekten Hörgeräten, denn sonst wüssten sie, dass sie leider sowieso nicht tenderfähig (schönes Wort, oder? Habe ich gerade vorhin erfunden) sind. Vielleicht hatten sie auch eine ähnlich laute Nachbarschaft wie ich, oder vielleicht wollen sie doch etwas ganz anderes und sind nur zufällig in den Stau geraten.

Aber ich sehe schon, auch ihr lest nur mit einem Auge, denn eigentlich beginnt die Fortsetzung einer Geschichte immer mit der Auflösung des Cliffhangers. Außer bei der Lindenstraße, da haben sie den Cliffhanger nie aufgelöst, oder höchstens mal so nebenbei, drei bis vier Folgen später. So schlimm bin ich nicht, und mit „so schlimm … nicht“ kommen wir dann endlich zur Schlagershow. Ich habe es tatsächlich gewagt und mir in der oberen Etage des Theaters einen Platz gesucht mit gutem Blick zur Bühne und nahe der Tür. Man weiß ja nie. Gut vorbereitet mit einem Gin Tonic war ich dann auf alles gefasst, denn das Bühnenbild bestand aus einem langen Biertisch mit Bänken, ein paar Fässern und viel weiss-blauer Dekoration. Und zu allen Überfluss war die Pausenmusik bis zum Beginn sehr volkstümlich gefärbt. Zum Glück nur bis zum Beginn. Wie schon angenommen, gab sich die Inszenierung bunt und amerikanisch, und von den vier Sängern war tatsächlich eins der Mädchen gut verständlich. Das andere dafür gar nicht, und die beiden Jungs kaum. Doch ansonsten kann ich tatsächlich. nur gutes von mir geben, was ich auch am liebsten tue, zumindest bei Künstlern. Die vierzig Minuten lange Show war voller Tempo, Gesang, Tanz, Spaß und Lebensfreude, und sogar Malle-Songs kann man gelegentlich ertragen, wenn sie ausnahmsweise mal professionell gesungen und nicht gegrölt werden. Ich habe mich wirklich unterhalten gefühlt, und tatsächlich würde ich mir diese Show noch einmal ansehen, ok, mit etwas Abstand. Die Wiederholung zwei Stunden später war mir dann aber doch etwas zu früh…

Ach ja, ehe ich es wieder vergesse: ein Riesenkompliment an die Tontechnik im Saal: von der ersten bis zur letzten Sekunde kristallklarer Sound, laut genug aber kein bißchen zu laut. Das hätte man gerne überall so. Außer bei Rock meets Classic, das muss laut!





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