Wenn ihr schon länger bei mir mitlest, werdet Ihr Euch vielleicht wundern, warum der Seetag keine Nummer hat. Braucht er auch nicht, denn auf dieser recht ambitionierten Reise mit 13 Häfen an 15 Tagen gibt es nur den einen, und ich bin schon sehr gespannt, wie wimmelig es auf dem Schiff ist, wenn wirklich alle da sind. Bis jetzt ist alles ruhig. Das Schiff tuckert mit nur 8 Knoten über die Biskaya, die ausnahmsweise glatt ist wie der Dutzendteich, und ich gehe ausgiebig frühstücken. Ja, ich! Sogar der Kellner ist höchst überrascht, mich zu so früher Stunde zu sehen.
Weil das Wetter so schön, die See so ruhig und sowieso nichts los ist, schraube ich meine insta auf den 3-m-Selfiestick und drehe ein paar Wow-Schüsse: eine Fahrt durch das Netz vom Sportplatz, einen Rundblick fast auf Schornsteinhöhe, einen Schwenk in den Innenpool hinein, einen weiteren aus dem Außenpool heraus, und während ich die Kamera abtrockne überlege ich, wo ich jetzt noch filmen könnte an diesem ereignislosen Tag.
Genau in diesem Moment gibt es an Bord einen medizinischen Notfall. Normalerweise kein Problem, der Doc macht das nötigste, der Krankenwagen wird gerufen und nimmt den Patienten mit, gut ist. Es passt zu Murphys Gesetz, dass der bisher. erste (und hoffentlich einzige) Notfall ausgerechnet heute, am Seetag eintritt. Kursänderung Richtung Land, hinten Deck 10 räumen, Deck 11 sicherheitshalber auch, und dann auch noch Deck 12, das dichtgedrängt voller kamerabehängter sensationsgeiler Gaffer steht. Erschreckend, dass wir so etwas an Bord haben. Und dass diese … sich einen Dreck um das mehrfach ausgesprochene Foto- und Filmverbot.
Nach einer halben Stunde erscheint die französische Küstenwache, braucht zwei - Anflüge (das letzte Mal waren es zwei Hubschrauber, weil beim ersten die Winde kaputt war), nehmen den Notfall mit, und alles geht wieder seinen Gang.
Gegen Abend gibt es im Theater (das hier Hollywood Show Lounge heißt) ein Treffen der Nicko Cruise Club Mitglieder. Das ist so ein kostenloses Abo, wo man mit jeder Fahrt Punkte sammelt und über die Jahre diverse Rabatte ergattern kann. Gefühlt ist das halbe Schiff hier, tatsächlich müssen es weniger sein, denn so viele Plätze hat die Show Lounge nicht.
Die „Club Queen“ (meine Erfindung) ist übrigens gerade auf ihrer 12. Kreuzfahrt hier an Bord. Ganz schöne Leistung, wenn man bedenkt, dass das Schiff erst seit vier Jahren für Nicko fährt.
Die Veranstaltung ist kurz und fröhlich, der Kreuzfahrtdirektor kommt aus Wien und hat als Komiker auf dem Schiff angefangen. Beides merkt man ihm an.
Den Schluss macht eine junge Sängerin aus England. Recht hübsch, etwas curvy, also 90-60-90, sondern mehr 90-70-100, und ich habe ein wenig Angst, dass ihr Abendkleid aufplatzt. Sie singt zwei Hollywood-Songs, ca. dreimal so alt wie sie selbst, und dann noch etwas von Abba. Da bin ich empfindlich. Aber obwohl ihre Stimmfärbung deutlich anders ist als die von Agnetha Feldskog, meistert sie den Song großartig. Was es doch ausmacht, wenn man ein paar zu hohe Töne geringfügig umarrangiert!
Auf diesem Schiff kann man zu Abend essen, so lange die Restaurants geöffnet haben. Es wird aber empfohlen, um sechs oder um acht zu kommen, um reibungslosen Service zu erleichtern. Was natürlich Quatsch ist. Der Hintergrund sind die abendlichen Shows, die immer zweimal gespielt werden: 18:30 und 20:30 Uhr. Und das ist der Hintergrund: früh essen, spät in die Show oder umgekehrt. Ich selbst gehe ja nie in diese ollen, langweiligen und unprofessionellen Shows, aber als der KD heute Abend durchsagt, dass im Theater gähnende Leere herrscht (er drückt das positiver aus) gehe ich doch mal hin. Thema: Hollywood forever, gezeigt werden kurze Musikszenen aus meinen Lieblingsfilmen der 80er: Dirty Dancing, Footloose, Fame, Flashdance, was auch immer. Das Ensemble besteht aus je zwei Sängern beiderlei Geschlechts, vier Tänzerinnen, und einer sehr netten sympathischen australischen Tuchartistin sowie einem weiteren Artisten.
Die Show ist ein wahres Feuerwerk aus tollen Gesangs- und Tanznummern, und ich finde es sehr, schade, als sie vorbei ist. Mal sehen, was die nächsten Abende noch bieten.
Wenn Ihr Euch vielleicht fragt, warum die Show so gut war: Sagt Euch der Name Jean Ann Ryan Productions etwas? Nein? Hat es mir früher auch nicht. Aber diese Gesellschaft ist eine der weltweit führenden auf dem Gebiet Musical und Stageshows und produziert normalerweise die allergrößten Broadway Shows. Und hier an Bord auch kleinere. Echt super gemacht.
Wer es nicht weiß: Eine Tuchartistin ist ein gut durchtrainiertes Mädchen, dass sich an langen Tüchern, die von der Decke hängen hoch und wieder runter wickelt und manchmal spektakulär fallen lässt. Und woher ich weiß, dass sie nett ist? Ganz einfach - sie hat mich in Lissabon eingecheckt.
Und so endet unser Seetag. Morgen sind wir in Brest. Das liegt am nordwestlichsten Zipfel von Frankreich, sozusagen am Ende der Biskaya.
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