Honfleur, trist und melancholisch. Wir liegen wieder in einem kleinen, häßlichen Industriehafen und warten auf den Shuttlebus ins Ortszentrum. Bis der kommt, erzähle ich euch noch von gestern. Erstmal die Show: war leider weit weg von allem, was die Truppe bisher aufgeführt hat (was aber an der Songauswahl und Inszenierung lag). Begeistern konnten nur die Tuchakrobatin und ihr Kollege, der mit einem riesigen Metallreifen auf der Bühne herumgeturnt hat.
Obstteller. Das ist sehr abgestuft: Hat man eine Suite, bekommt man jeden Abend einen (was viel ist, auch für zwei). Hat man eine Innen- oder Außenkabine, bekommt man gar keinen, kann sich aber - wie jeder andere - an der gut sortierten Obsttheke im Buffetrestaurant daran satt essen. Und hat man eine Balkonkabine, so wie ich, bekommt man einen zur Begrüßung. Aber nur dann, steht im Katalog. Begrüßt wird man hier ständig, von dem extrem freundlichen Personal. Egal, ob Putzpersonal, Kabinenstewart, Maler, Matrose, Barkeeper, Kellner, Masseurin, auch der KD, alle grüßen immer sehr freundlich. Gelegentlich kriegen auch die Offiziere die Zähne auseinander, und in ganz seltenen Fällen sogar die Mitpassagiere. Im Laufe der Reise werden es mehr. Oder sagen wir so - zumindest wenn man zuerst grüßt, bekommt man eine freundliche Antwort. Auf der Artania war das nicht immer so, trotz entsprechender Ansage des dortigen KD. Viele vom Personal kennen sogar meinen Namen. Auch wenn sie mich beim Landgang sehen. Das ist manchmal sehr lustig, so wie neulich. Ich laufe so harmlos durch Brest, da steht plötzlich eine kleine Balinesierin vor mir und ruft lautstark: „ey Loy, wo wa’hen du geste’n Abend, hä?“
Wir haben sehr viele kleine südostasiatische Frauen an Bord, und mit Ausnahme meiner Masseurin kann ich sie kaum voneinander unterscheiden. Aber bei dieser komme ich ziemlich schnell drauf: die Getränkekellnerin aus dem Bedienrestaurant "Waterfront" auf Deck 7, da bin ich fast immer, also, während der Mahlzeiten. Ich zeige Richtung Himmel, weil ich auf Deck 8 gegessen hatte, nämlich eine Pasta Spezialität.
„aha, etwa im medite’anischen Lestau’ant!“ stellt sie mit ihrem Kleinmädchencharme (obwohl sie bestimmt schon Ende dreißig ist) leicht entrüstet fest. „Abe’ heute wiede’ bei mi’!“. Keinen Widerspruch akzeptierend, klopft sie mir auf die Schulter und ist weg.
Einige zufällig in der Nähe befindliche Mittouristen haben die Szene beobachtet, da bin ich mir sicher. Manchmal möchte ich deren Gedanken lesen können. Aber jetzt kommt der Bus.
Es ist ein erwachsener Bus (nicht wie gestern), und der marokkanische Fahrer sowie die kleine sehr blonde französische Hostess achten darauf, dass beim einsteigen alles in Ordnung geht, besonders, weil wir einige gebrechliche Leute dabei haben. Doch dann entsteht ein Stau, und ein Dutzend Leute steigt wieder aus, mit Mühe auch Gebrechliche, weil niemand darauf geachtet hat, wie viele Leute in den Bus passen. Da haben wir es wieder: die Franzosen brauchen immer zwei, diesmal sind es Busse.
Es ist Sonntag, wir sind in Frankreich, und ich hoffe, es gibt nicht nur geschlossene Läden zu sehen. (wie auf Martinique). Aber hier in Honfleur weiß man, wo das Geld her kommt. Alle haben auf, die wunderschöne alte Stadt an der Seinemündung sprudelt über vor Leben und Geschäftstüchtigkeit, ein einziger bunter Jahrmarkt für die Touristen. Sehr häufig trifft man hier Kreuzfahrer, nicht unsere, sondern solche, die auf der Seine von Paris aus gekommen sind.
Als ich mich an den vielen normannischen Häusern satt gesehen und von den Essensdüften aus den vielen Restaurants für Fisch und Meeresfrüchten Hunger bekommen habe … ach ja, der Obstteller.
Nach einer Woche steht wieder einer auf meiner Kabine. Vorsichtig sehe ich mich um, ob ich vielleicht einen Mitbewohner bekommen habe, der jetzt damit begrüßt wird. Man weiß ja nie. Die Katalogangaben ändern sich gelegentlich, mal zum guten, und mal weniger. Aber natürlich gibt es keinen Mitbewohner, und ich freue mich über den neuen Obstteller.