Donnerstag, 6. Oktober 2016

Liegende Leute

Barcelona gilt als eine der schönsten Städte der Welt. Der Empfang könnte grandioser nicht sein: spektakuläre Lichteffekte, donnernde Musikakkorde, das nicht enden wollende klatschen eines wahrhaft frenetischen Applauses...
O je, da ist es mit mir durchgegangen. Ihr ahnt es vielleicht schon: Wir haben ein Riesengewitter, und zumindest ich keine Lust auf einen wassergekühlten Spaziergang durch die Pfützen der Altstadt. Daher verzichte ich auf die geführte Tour, und frühstücke erst einmal in aller Ruhe. Allmählich wird dem Gewitter langweilig, und es verzieht sich. Das macht mir Mut, und ich besteige einen Shuttlebus, der mich (und viele andere) aus dem Hafen zu einem zentralen Punkt Barcelonas bringt, nämlich dem hiesigen World Trade Center. Das liegt allerdings direkt am Meer, und das zentrale daran ist wohl, dass man es überall hin gleich weit hat. Egal, denn es gibt Busse und Taxis, und da mein Ziel laut Handynavigation nur etwa 20 Minuten entfernt ist, laufe ich mal los.
Die Wege sind uneben und nass, viele Gebäude - und das auf Las Ramblas, einer der wichtigsten Flanier- und Einkaufsstraßen hier, sind ziehmlich heruntergekommen, und was ich echt schlimm finde: vor jedem zweiten oder dritten Gebäude liegt irgenein armer Mensch und schläft auf dem Gehsteig. Und im Laden dahinter verkauft man Gucci oder sonst etwas teures. 
Zurück zu meiner Mission. Zuerst brauche ich einen Souvenirladen, der Kühlschrankmagnete führt. Da die heute praktisch jeder sammelt, der reist (lustigerweise auch "Berufsreisende" wie Seeleute und Angestellte auf Kreuzfahrtschiffen) gibt das kein Problem. Schon der erste Laden hat eine reiche Auswahl zu vernünftigen Preisen.
Der zweite Punkt meiner Mission steht nicht auf der Agenda, riecht aber gut. Der unwiderstehliche Duft nach frischem Kaffee dringt aus einem winzigen Kellercafé, und ehe ich mich wehren kann, stehe ich vor der kleinen, abgenutzten Theke und bestelle in mühsam gelerntem spanisch einen Milchkaffee. Leider verstehe ich nicht die Rückfrage der für den Service zuständigen Spanierin im Westentaschenformat. Während die Kaffeemaschine hoch fährt, rennt sie schnell zum Nachbarn, und kehrt mit einem runden weißen Gegenstand zurück, auf den sie meine Kaffeetasse stellt. Den Preis bekomme ich unmissverständlich per Kassenbon mitgeteilt. Und während ich den herrlichen Milchkaffee genieße, und dabei den Gegenstand betrachte, auf der die Tasse stand - nämlich einem kleinen Kuchenteller mit nicht weniger als drei massiven Beschädigungen am Rand - fällt mir ein, was sie gefragt haben könnte: ob es vielleicht ausnahmsweise mal ohne Untertasse geht. Wäre es gegangen, sicherlich. Aber bei meinem dürftigen spanisch...
Irgendwann ist die angenehmste Kaffeepause vorbei, und ich muss weiter gehen. Die Häuser werden schöner, die Füße werden weher, und die schlafenden armen Menschen leider nicht weniger. Doch dann ist es geschafft: ich habe ihn erreicht, den Plaça Catalunya, einen riesigen Platz voller Getümmel und teurer Geschäfte. Und hier bin ich auch am Ziel meiner Mission, dem Hardrock Cafe. Für diejenigen, die das nicht kennen: HRC ist eine aus einem amerikanischen Gitarrenbauer entstandene Frenchise-Restaurantkette mit fast täglichen Livekonzerten und einem Laden exklusiver T-Shirts und Accessoires. Bis auf das Standardmodell in zwei oder drei Farben, dass weltweit gleich ist (außer dem Städtenamen im Logo) hat jedes HRC zusätzlich eine eigene Kollektion, die es nur dort gibt und die auch nicht über das Internet bestellbar ist. Man muss also unbedingt selber vorbei kommen.
Wie ich das schon aus Santo Domingo kenne (mehr Vergleiche habe ich leider nicht) sehen auch hier die Verkäuferinnen aus wie Popstars und sprechen ausgezeichnet englisch. Sie sind unfassbar gut geschult, stellen blitzartig und auf den Punkt genau die richtigen Fragen und geben einem zu jeder Zeit das Gefühl, der wichtigste Kunde zu sein und dass sie dich wirklich gern bedienen. Während die dominikanischen Mädels immer auch ein ganz kleines bißchen auf cool machten, bedienten mich die Spanierinnen gleich im Zweierpack auf eine quirlige, fröhliche, natürlich wirkende Art, so dass es unfassbar viel Spaß macht, da einzukaufen. Womit wir beim Thema Geld wären. Die Diskussion, ob wir überhaupt welches brauchen, also, in bar, läuft ja schon länger. In Spanien scheint man da schon weiter zu sein, denn als mir die Mädels noch irgeneinen tollen Gürtel nebst Rabatt auf das Mittagessen bei HRC anpreisen, erzähle ich ihnen, dass ich glücklicherweise (kein Schreibfehler) meine Kreditkarte vergessen habe. Auf die Frage, wie ich denn dann bezahlen will, antworte ich "mit Geld". "Mit Geld? Mit richtigem Bargeld?" Vier dunkelbraune Kulleraugen sehen mich ungläubig an. Scheint schon länger nicht mehr passiert zu sein, denn als ich die Scheine auf den Tisch lege, muss das eine Mädchen dem anderen erst einmal sagen, wie man die Registrierkasse entsperrt. Die hatte wohl in ihrem Leben noch nicht bar kassiert. Aber alles ist gut, aus der Kassenschublade steigt keine Fledermaus, Wechselgeld ist auch drin, und ich mache mich mit meinen T-Shirts auf den Heimweg, also zum Schiff. Eigentlich wollte ich ein Taxi nehmen, aber entweder waren sie besetzt, oder der Fahrer hatte gerade Pause, oder keine Lust. Und der Fahrplan an der Bushaltestelle kam mir ohnehin irgendwie spanisch vor. Egal, irgendwann erreiche ich das WTC, und der Bus zum Schiff kommt auch gerade. Und um die wehen Füße kann sich morgen Diana kümmern.

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