Donnerstag, 4. Juli 2024

Abenteuer Bahn

 Als mir heute morgen, im Bett, ganz spontan dieser Titel eingefallen ist, wusste ich natürlich noch nichts vom heutigen Tag. Aber ganz von vorn:

Es ist mein letzter Morgen auf der Vasco da Gama, und eigentlich müssten wir gerade in Bremerhaven anlegen. Tun wir aber nicht. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir - nur Wasser, über das wir mit der uns höchst möglichen Geschwindigkeit eilen. Viel ist das ohnehin nicht…


Da ich die Kabine schon um acht Uhr geräumt haben muss (welche Zumutung, da schlafe ich doch normalerweise noch!), mein Bahnhofsshuttle aber erst um 11.30 Uhr fährt, brauche ich eine vorübergehende Bleibe. Zu diesem Zweck hatte ich mir schon vor Tagen die unterste Etage des Atriums ausgesucht, wo es außer einigen durchgesessenen Sofas und Sesseln, etlichen Bistro-Tischen und Stühlen, jeweils einer Toilette sowie der an Bord allgegenwärtigen Überdekoration gar nichts gibt. Auch Menschen sind in diesem Bereich eher rare Ware, und darum will ich die letzten drei Stunden an Bord hier auf einem der durchgesessenen Sofas verbringen.

Frohen Mutes nehme ich mein Handgepäck, verlasse die Kabine und fahre mit dem - ach nein, am Abreisetag sind sämtliche Aufzüge dauerhaft von schwergängigen Mumien in Begleitung überdimensionaler Gepäckstücke belegt - laufe drei Decks tiefer, betrete das Atrium und bin ein ganz klein wenig überrascht, dass ich gerade noch einen Bistrostuhl bekomme. Binnen Minuten ändert sich der Raum von voll auf brechend voll, und ich werde allmählich den Gedanken nicht los, dass andere Leute einen ähnlichen Gedanken hatten wie ich.


Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir endlich da sind, eine weitere, bis die Fahrgastbrücke sitzt, und noch eine, bis die Behörden das Schiff endlich freigeben, das Gepäck ausgeladen werden kann, und die Leute, die ihres schon haben, von Bord gehen dürfen. Und auch solche wie ich, die ihren Koffer dem Tefra-Service (ein Kurierdienst für Gepäckstücke) anvertraut haben. Und das sollte sich als eine meiner besten Ideen ever erweisen. Zumindest für heute. Den Rest erfahre ich am Montag, wenn mir der Koffer nachhause gebracht wird (hoffentlich), aber dann wird diese Story längst beendet sein.

Obwohl der KD mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass die Umgebung der Gangway frei zu halten ist und nur die Gäste das Schiff verlassen sollen, die dran sind, gibt es erstmal eine so heftige Verstopfung von Deck 6 nach Deck 5 und den Gang entlang zum Ausgang, dass dagegen die jedes Abführmittel machtlos wäre. Wie fast immer im Altersheim: die Leute hören einfach nicht zu. Inzwischen liegen wir gut zwei Stunden hinter dem Zeitplan, was der KD mit der halbstündigen Schleusenverzögerung in Holland gestern erklärt. Ok, er ist Österreicher, aber haben haben die wirklich eine andere Mathematik?

Allmählich löst sich der Stau auf, und schließlich mache auch ich mich auf den Weg zu den Bussen. Dabei gehe ich weder über Los noch zu den deckweise aufgestellten Koffern sondern setze mich in den nächsten Shuttlebus zum Bahnhof. 


Los wäre jetzt gut gewesen, denn es gibt zwei Sorten Busse: einen vom Schiff, der konnte man im Abreisepaket enthalten, und einen von der Stadt, der kostet Geld. Wäre ja nicht schlimm, aber als er voll ist (nebst dem Gepäckanhänger) kommt die bis dahin abwesende Fahrerin zurück und erklärt, dass dieser Bus leider nicht mehr anspringt, und alle wieder aussteigen müssen. Ginge ja noch, aber die Koffer wieder rauspuzzeln mach sicher keinen Spaß. Zudem sind etliche Leute ohnehin ziemlich angefressen, weil sie aufgrund der Verspätung des Schiffs ihre supergünstigen Bahntickets mit Zugbindung jetzt in die Tonne drücken und neue kaufen müssen, die dann sicher nicht mehr so supergünstig sind. Zugbindung habe ich keine, und die geplante Verbindung erreiche ich wahrscheinlich auch noch. Trotzdem ordere ich vorsichtshalber mal schnell eine Platzkarte für den nächsten Zug, zwei Stunden später, die ich aber sicherlich nicht brauchen werde.

Am Bahnhöfchen von Bremerhaven kommt dann pünktlich ein RE an, fährt pünktlich los und kommt auch pünktlich in Bremen an, auf Gleis 7. Weiter geht es auf Gleis 6. Das könnte doch der gleiche Bahnsteig sein, oder? Könnte  ja, ist er aber nicht. Rolltreppen gibt es hier nicht, die Aufzüge sind ähnlich gefragt wie auf dem Schiff, auch von den selben Menschen, also: Treppe runter und auf der anderen Seite Treppe wieder hoch, um dann zu erfahren, dass man den Zug wegen einer Verspätung auf Gleis 3 verlegt hat. Immerhin, Verspätung vermeidet weitere Hetze. Also, etwas gemächlicher Treppe runter, auf der anderen Seite wieder hoch. Ich bin froh, dass ich im Urlaub Treppen steigen trainiert habe, eigentlich um am WE eine einigermaßen gute Figur zu machen, wenn ich die ca. 100 Stufen der Tribüne hochklettere, während alle, die mich kennen, schon oben sitzen und mich sehen können. Und noch viel, viel mehr froh bin ich, dass ich das gerade alles ohne Koffer machen konnte. Anderen geht es nicht so gut.


Aus den zwanzig Minuten Verspätung werden fünfundzwanzig, kein Problem, es geht ja jetzt durch bis Nürnberg. Der Zug ist wegen irgendwelchen Ausfällen ziemlich überfüllt, aber davon merkt man in der 1. Klasse nichts. Hier wäre noch etwas Platz.

Ich freue mich über das gut funktionierende WLan an Bord und mache eine Bestellung bei Rewe fertig, damit ich morgen früh nicht erst einkaufen gehen muss. Leider kann ich die Bestellung nicht abschicken, so gut ist das WLan auch wieder nicht. Alternativ lese ich ein bißchen, und als der kleine Hunger kommt, bestelle ich eine Kleinigkeit im Bord Bistro. Online. So gut ist das WLan dann doch wieder.

Nach kurzer Zeit, wir erreichen gerade Hannover und sollen hier an ein Zugteil vor uns angekuppelt werden, um dann gleich als langer Verband weiter zu fahren. Die Vereinigung passiert mit einem heftigen rumms, dann sind die Zugteile verbunden, und die Leute können aus- und einsteigen. Mit professioneller Routine verbindet der Lokführer die technischen Systeme der beiden Zugteile, wobei sich unerwartet und zum Schrecken einiger Ein- und Aussteiger sämtliche Türen schließen. Der Zugchef entschuldigt sich für das Versehen. Kleinigkeit, kein Problem, niemand hat sich weh getan und die Passagiere nehmen es locker. 

Nach zehn Minuten die nächste Durchsage, in relativ kleinlautem Ton: „Leider lassen sich die beiden Zugteile, trotz aller Versuche, nicht kombinieren“. Im Zug herrscht atemlose Stille. „Ich bringe wirklich nur sehr ungern schlechte Nachrichten, aber ich muss die Passagiere im hinteren Zugteil  (das ist der, wo ich sitze) bitten, in den vorderen Zugteil umzusteigen!“. Tumult, Koffer werden geworfen, man versteht das eigene Wort nicht mehr. Ein. verärgerter Mob wälzt sich - aufgrund der vielen Koffer nicht ohne Mühe - aus dem hinteren Zugteil nach draußen. Auf dem Bahnsteig wälzt sich eine aufgebrachte Stampede zusammen mit Tonnen von Gepäck den langen Weg zum vorderen Zugteil. Aber warum? Wie sollten die Passagiere aus unserem überfüllten Zug zusätzlich zu den bereits reichlich vorhandenen Passagieren noch in den anderen Zug passen? Warum werden keine alternativen Verbindungen angeboten? Man muss es nicht verstehen.

So viele wie möglich quetschen sich in die überfüllten Wagen. Selbst in der ersten Klasse ist nicht mehr der winzigste Stehplatz zu bekommen.

Der Zug fährt ab und hinterlässt einen Bahnsteig voller Gestrandeter, die sich jetzt selbständig um eine neue Verbindung kümmern. Ein Bahnbeamter sucht für mich in seinem handy und gibt mir die Auskunft, dass heute kein durchgehender Zug mehr nach Nürnberg fährt, was schlicht und ergreifend falsch ist. Ihr erinnert Euch an meine Extra-Platzkarte? Mit solchen Mitarbeitern, sorry, kann aus der Bahn nichts werden.

Nach einer halben Stunde leert sich der Bahnsteig, denn ein Zug nach München, der aber nicht über Nürnberg fährt, nimmt den größten Teil der Gestrandeten mit, während ich im handy meine Platzkarte für den nächsten, meinem Ersatzzug, suche. Leider spricht es nicht mit dem DB-WLan. Der Laptop seltsamerweise schon und zeigt mir nicht nur die Platzkarte, sondern schickt jetzt auch die Rewe-Bestellung ab.

Inzwischen ist es 16.20, in einer Stunde bin ich zuhause. Also, das war der Plan. Der jetzt einlaufende, pünktliche Zug soll gute drei Stunden bis Nürnberg brauchen. Er ist mäßig besetzt, mein Platz ist frei, und los geht’s. Ich bestelle mir per WLan einen Kaffee, das heißt, ich möchte es, aber das WLan geht in diesem Zug nicht. Gar nicht. Irgendwas ist immer. 

Zum Glück gehen manche Dinge auch analog: die nette Mitarbeiterin des Bordbistro läuft durch den Wagen, fragt was man möchte und man sagt es ihr einfach. Eigentlich ist das viel schöner als online.

Damit endet diese Reise, ganz ohne weitere Ereignisse. Also, fast, denn als der Zug um 19.45 Uhr Nürnberg erreicht, haben wir schon wieder zwanzig Minuten Verspätung…


Danke für’s fleißige Mitlesen. Bis zum nächsten Mal.


Euer

Captain Spareribs

Mittwoch, 3. Juli 2024

Nasse Füße? Nein danke!

 

Seit vier Uhr morgens jagt die Vasco da Gama ein kleines Lotsenboot durch das Kanalsystem vor Amsterdam, erwischt es aber nicht. Soll sie ja auch nicht, denn das Boot vor uns und der dazugehörige Lotse auf der Brücke bringt uns sicher zu einem der seltenen Innenstadt-Liegeplätze in Amsterdam, für die man mittlerweile außer Geld auch noch gute Beziehungen braucht, wegen der Umwelt, denn: wer Autos aus der Stadt verbannt, ist auch not very amused über Kreuzfahrtschiffe, denen man ja immer nachsagt, sie wären Dreckschleudern. Egal, wir sind heute da.

Leider schüttet es wie aus Eimern, und ich traue mich nur vom Schiff, weil wir eine überdachte Fahrgastbrücke benutzen können. Im Hauptgebäude des Cruiseterminals gibt es einen großen Souvenirstand, der fast alles hat was ich will. Und nach den Preisschocks in London ist es hier richtig günstig. Danach - zurück aufs Schiff. Kalt und nass durch Amsterdam schleichen macht nämlich keinen Spaß. Kühl ist es geworden, zum ersten Mal seit Wochen habe ich eine Jacke an. Eine dünne, während die anwesenden Altersheiminsassen dick eingemummelt sind. 

Eine Tischnachbarin liest aus dem Tagesprogramm vor: „heute Abend verabschiedet sich der Captain“. Wie doof denke ich mir, der soll uns doch morgen noch in Bremerhaven abliefern…

Nach zwei Wochen mit diesen Leuten bin ich wohl etwas seltsam geworden, und bekannt. Ok, ich falle vielleicht ein ganz kleines bißchen auf, denn auf diesem Schiff gibt es genau zwei Altersklassen: Die Älteren bis ganz Alten: das sind die Passagiere.

Die Jungen, zumeist in Uniform, manchmal auch nur mit Namensschild: die arbeiten hier.

Ja und ich. Zumindest optisch falle ich auf (heute wurde ich auf vierzig geschätzt, ernst gemeint, und die Dame hatte keinen Sehfehler!), und auch durch meine fast allabendliche Anwesenheit in der Poolbar, wo ich, fast immer am selben Tisch, mit guter Sicht, dadurch aber auch gut sichtbar, meine Geschichten zu Bits und Bytes mache, um sie anschließend ins Internet zu jagen. („zu Papier bringen“, wie man früher sagte, hat irgendwie künstlerischer geklungen, oder?)Ich werde öfter angesprochen, was ich da so mache, und stoße auf reges Interesse bei den Senioren. Manchmal fragt auch ein Kellner ganz verschämt (weil - man soll ja die Kunden nicht belästigen), und nicht selten brechen Passagiere angefangene Gespräche ab mit den Worten „ich will sie ja nicht bei der Arbeit stören.“ Seitdem klappe ich, so ich Lust auf Unterhaltung habe, direkt den Deckel zu. Das hilft. Tatsache ist, ganz viele Leute kennen mich jetzt, und ich werde ständig angesprochen. Da sind so die ganz einfachen, freundlichen Dinge, wie vorhin im Aufzug: „Ich kenne sie. Sie arbeiten immer so fleißig!“ Gut, ich habe den Laptop unterm Arm, das hilft beim Erkennen.

Oder total nette, wie gestern Abend. Ich schleppe mich im Atrium eine Treppe hoch, oben steht eine Frau, lächelt mich an, ausnahmsweise kriege ich es mit und lächle natürlich zurück. „Sie können ja doch lächeln!“ sagt sie ganz erfreut. „Ich beobachte sie nämlich schon seit Tagen“ (auwei, die stalked mich???), „und sie machen immer so ein böses Gesicht!“ Ich erkläre ihr wahrheitsgemäß, dass es sich dabei - jetzt lacht nicht, oder gerne doch - um einen von meiner Mutter geerbten Geburtsfehler handelt: entspannt sich mein Gesicht, zieht es sich in die Länge und sieht automatisch böse aus. Und ich bin hier an Bord eigentlich immer entspannt, aber auch glücklich. Die Erklärung versteht und akzeptiert sie. Wie schön. Aber es kommt besser:

Vor wenigen Tagen betrete ich das Pooldeck, da ruft eine Dame hinter mir: „Über sie haben wir gerade geredet!“ Jetzt redet man schon über mich?? Ich bin entsetzt.. „Sie wüssten das bestimmt!“ ja, was denn? „Da war gerade so ein komisches Schiff, da am Windpark, das ist ganz langsam gefahren, so vor zehn Minuten, da habe ich zu meinem Mann gesagt sie wüssten bestimmt was das für eins ist. Leider ist es weg. Es war rot und hatte einen Hubschrauberlandeplatz, aber auf den Seiten war es so niedrig, und…“ - „Nun lass doch den Herrn auch mal was sagen.“ meldet sich der Ehemann nicht ganz ohne Mühe zu Wort. Mit der einen Hirnhälfte suche ich noch eine angemessene Formulierung für „ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, und ich glaube du auch nicht“ frage ich meine andere Hirnhälfte, weswegen sie auf die Idee kommt, ich hätte tiefer gehende nautische Kenntnisse. Ich habe - da bin ich mir sicher - mit niemandem an Bord über Nautik gesprochen, höchstens mit dem einen oder anderen darüber, dass ich schon auf anderen Schiffen war. Erstaunlich viele der Gäste hier kennen nämlich nur die Vasco da Gama.

wie auch immer - ohne das seltsame Schiff gesehen zu haben, kann ich leider nicht weiter helfen. Mit möglicherweise auch nicht, aber einfacher wäre es schon.

Kleiner Zwischeneinschub zur Begriffsklärung für die nächste (und letzte) derartige Geschichte:

Gestern stehe ich am info-Stand der Bordreiseleitung und warte, dass ich dran komme. Was ihr wissen müsst: im Tagesprogramm steht dann „von zehn bis zwölf Uhr öffnet Katinka den Infostand und beantwortet ihre Fragen.“ Blöde Formulierung. Überhaupt, das Bordprogramm. Würde ich für jeden Rechtschreibfehler einen Euro kriegen, käme ich mit einem Guthaben nachhause. Aber ich schweife ab, daher zurück zum Infostand. Vor mir sitzt ein sehr gebrechlicher Mann, sagte er hätte da eine Frage, reicht der Katinka ein riesiges seniorengerechtes Android-Handy über den Tresen und bittet sie, ihr irgendetwas einzustellen, was er nicht checkt. Das ist jetzt keine von den Fragen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Könnte sie helfen, täte sie es trotzdem, so sind die Leute hier, aber sie gibt Handy zurück mit einem bedauernden „weiß ich leider nicht. Ich bin ein iPhone-Girl“. Der Ausdruck gefällt mir und bleibt deswegen im Gedächtnis. Zurück zu mir:

Ich sitze beim Abendessen, da steht die Dame von Nebentisch auf, eine guterhaltene 78-Jährige, kommt zu mir, grüßt freundlich und sagt: „Sie sind doch so ein Apple-Fan!“. Nun gut, richtig, aber woher weiß sie das schon wieder? Vielleicht gut kombiniert, wegen dem angebissenen Apfel auf meinem Laptop…

„Darf ich sie mal was fragen?“ Klar darf sie, und sie schildert mir ihr Problem: Plötzlich kann sie per WhatsApp keine Bilder mehr zu ihrem Mann schicken, und auch nicht er zu ihr, der hat nämlich bloß so ein Google Pixel, aber eigentlich da klappt alles, und bei ihrem iPhone nicht. In Gedanken formuliere ich den Begriff „iPhone-Granny“, während ich alle mir bekannten Probleme mit ihr durchgehe, leider ohne Erfolg.

Etwas später. Ich sitze wieder auf meinem „Arbeitsplatz“ von dem ich noch erwähnen muss, dass er eine akustische Besonderheit hat: Man hört hier praktisch alles, was auf dem Pooldeck geschieht. Und - wichtig zu wissen, ich habe es ausprobiert - auf dem Pooldeck hört man alles, was an diesem Tisch geschieht.

Ich überlege gerade einen besonders genialen Schluss für ein Kapitel, und da kommt er, in Gestalt des Mannes der iPhone-Granny. Er stellt sich vor mich hin, mit leicht errötetem Gesicht, erhitzt und freudestrahlend, und verkündet lautstark: „Stellen sie sich vor, mit meiner Frau klappt es wieder!“

Ich kann nicht anders, als ihm vollkommen ehrlich gemeint und ebenso laut zu antworten: „Das freut mich aber sehr, dass es mit ihrer Frau wieder klappt!!“





Dienstag, 2. Juli 2024

Ruhetag

Zeebrügge in Belgien, das Wetter ist regnerisch und grau, die Hafenanlagen sind nass und grau und sogar die Möwen sind grau. Nass vermutlich nicht, denn sie fliegen so locker wie immer, manche kommen sogar in Griffnähe an meinem Balkon vorbei. Ich bin noch müde, schleppe mich aber trotzdem ins „Waterfront“-Restaurant um zu frühstücken. Auch hier ist heute irgendwie alles grau, besonders die Haare der Gäste. Leider ist mein Lieblingstisch besetzt, und so gerate ich mitten hinein in drei völlig unterschiedliche Gespräche, alle geführt von unterschiedlich agilen Mumien um die achtzig: Links sitzen zwei Damen, die durch eines der großzügigen Panoramafenster beobachten, wie eine große Fähre mit Container-Fahrzeugen be- und entladen wird und in ihrer Unterhaltung kindliche Begeisterung dafür entwickeln. Rechts erzählt ein Ehepaar - eigentlich nur der Mann - von vergangenen Reisen und auch von zukünftigen, während hinter mir ein körperlich wie geistig gebrechlicher Herr seine noch gebrechlichere Frau lautstark mit politischen Wirtshausparolen zu textet. Das geht ungefähr so:


links: „guck mal, der schiebt aber ein großes Ding rein!“

            „und der andere zieht eins raus. Und so schnell“

            „wohin das Schiff wohl fährt?“


hinten: „nach Polen! Der Kanzler fährt nach Polen!“


rechts: „Österreich! Da machen wir unseren nächsten Urlaub“

            „wie kommt Ihr da hin?“


links: „mit so einem kleinen Ding schiebt er die Kiste rein“

            „Kaum zu glauben!“


rechts: „mit dem Fahrrad! Eine Woche lang“


hinten: „dafür wollen die Polen Reparationszahlungen“


links: „ob das teuer ist?“

            „Bestimmt. Deshalb hat der sogar einen Doppeldecker“

            „Kaum rein, schon wieder raus. Wie schnell der kommt!“


rechts: „das geht natürlich nur mit einem E-Bike.“

             „Wisst Ihr, was am besten wäre?“


hinten, lautstark: „der Kanzler muss weg!“


Ich bin zwar nicht der Kanzler, aber an dieser Stelle verlasse ich das Restaurant. Auch wenn man hier verwöhnt wird - ich freue mich sehr auf Mahlzeiten mit wählbarer, alternativ ohne Geräuschkulisse. 

Leider wird das Wetter nicht besser, nur der Wind stärker, und so muss Belgien ohne meinen Besuch auskommen, auch wenn ich die berühmten belgischen Fritten gerne einmal probiert hätte. Dafür erzähle ich Euch etwas über das Schiff, denn das ist in einer Hinsicht nämlich ganz, ganz modern. Will man bei MeinSchiff oder Phoenix etwas kostenpflichtiges trinken, nennt man seine Kabinennummer, unterschreibt auf Papier und bekommt eine Kopie des Belegs. Bei Phoenix hatten sie früher sogar kleine Mäppchen mit Fächern für die Bordkarte, den Lochkartenschlüssel und auch welche für die vielen, bei Durstigen sogar vielen, vielen Kopien der Belege. Seit einem der letzten Werftaufenthalte gibt es neue Schlösser an den Kabinen, was die Lochkartenschlüssel und gleichzeitig die Mäppchen abgeschafft hat. Die Bordkarte, mit ihrer neuen Zusatzfunktion als Kabinenschlüssel, trägt man nun an einem Halsband (oder in der Hosentasche), und die Belege werfen ohnehin die meisten Leute sofort weg. Aber ich schweife etwas ab.

Möchte man nun wissen, wieviel Kohle schon die Kehle hinunter gelaufen ist, gibt es zwei Informationsmöglichkeiten: den Fernseher in der Kabine, oder die Schiffsapp auf dem Smartphone. Beide geben gerne schnell und korrekt Auskunft.

Hier, auf der Vasco da Gama, sind wir sehr viel moderner. Die Kellner tragen Tablets oder Handys mit sich herum, auf denen man den Empfang seiner Getränke jeweils mit einer krakeligen Ein-Finger-Unterschrift direkt auf dem Display bestätigt. Kennen wir von Amazon, DHL und Kollegen. Keine Zettelwirtschaft, keine Kopien, nichts. Voll modern! Echt toll. Und wenn man das mit der Kohle wissen möchte, gibt es eine Methode, die ist so ultimativ neu, dass ihr davon bestimmt noch nie gehört und es auch nicht für möglich gehalten hättet, dass es so etwas gibt. Ich will es nicht allzu spannend machen, aber es ist so überwältigend, dass man die Methode patentieren sollte. Also, wenn man wirklich den Zwischenstand seiner täglichen Flüssigkeitsaufnahme wissen möchte, braucht man keine App, auch keinen Fernseher, sondern man geht einfach zur Rezeption, stellt sich an, und wenn man endlich dran ist, bittet man höflich um einen Ausdruck auf Papier. Wow!




 

Montag, 1. Juli 2024

Wechselweise

Ich hatte es noch nicht erwähnt, aber heute morgen habe ich schon zum dritten mal in Folge das Bare in meinem Geldbeutel komplett ausgewechselt, diesmal wieder zu Pfund Sterling, denn heute geht es endlich von Dover aus nach London. 

Dem vorausgegangen war ein großes Buhai mit den Reisepässen, die eigentlich schon beim Check-in eingesammelt werden sollten, aber wohl nicht von jedem hergegeben wurden. Bis gestern Abend enthielt jede Durchsage vom KD auch den Zusatz, dass die fehlenden Pässe an der Rezeption abzugeben sind, weil das Schiff in Dover sonst nicht freigegeben werden kann, und alle an Bord bleiben müssen. Und nicht nur die Altersheimbewohner, die mal wieder nicht zugehört haben. Ehe es Euch langweilig wird:  manche Regeln haben sogar Unterhaltungswert. Zum Beispiel letztes Jahr; in der gesamten Karibik, und beim Wiedereintritt in die EU und bei der Wiedereinreise nach Deutschland - und das waren immerhin nicht weniger als zwölf, zumeist außerirdische, pardon, außereuropäische Grenzübertritte und Landgänge, also von den Cayman Islands bis nachhause - hat sich kein Mensch für irgendeinen Pass interessiert, und Landgang war immer mit der Bordkarte möglich, die übrigens kein Lichtbild trägt (das ist nur im Schiffscomputer hinterlegt, und die Kontrolleure beim Betreten des Schiffs können es sehen). Die drei Häfen zuvor allerdings hatten drei verschiedene Vorschriften: nur Bordkarte, Bordkarte mit Führerschein oder Kopie oder Perso, und Bordkarte mit Original-Reisepass. Alle drei Häfen sind nicht nur US-amerikanisch, nein, sie liegen auch noch alle im selben Bundesstaat: Florida!

Auf der jetzigen Reise gab es nach der Einschiffung auch keine Kontrollen mehr, nicht in Portugal, nicht in Spanien, nicht in Frankreich, nicht- wir verlassen die EU - auf Jersey. Aber jetzt möchte der nächste französische Hafen, weil wir ja nicht aus der EU kommen, dass wir zusätzlich ein Ausweispapier oder zumindest die Kopie davon mit uns führen. Machen wir auch, und wisst ihr was? Keinen hat es interessiert. Aber heute, da kommt die große Show, weil die Engländer wollen ganz genau unsere Pässe kontrollieren.  Das hält möglicherweise auf, und ich habe doch einen Ausflug nach London gebucht! 

Wir sind in Dover - habe ich das schon erwähnt? - und zum ersten Mal, obwohl ich schon so oft das war, konnte ich den Anblick der berühmten weißen Felsen genießen. Aber das wollt ihr gar nicht wissen…

Die Passagiere werden in Gruppen aufgeteilt, in zu große, was zu fußkranken Staus im Treppenhaus führt, müssen über eine never ending Gangway ins Terminal laufen, ihren Pass aus einem zwar nach Decks, aber wohl nicht nach Kabinennummern sortierten Karteikasten heraus suchen lassen, und ihn dann den freundlichen englischen Kontrolleuren präsentieren. Aufgrund des Flaschenhalses 1 (Treppenhaus) und des Flaschenhalses 2 (Karteikasten) herrscht an den vielen Kontrollschaltern eher weniger traffic, und ich nehme mir die Zeit, mit den beiden netten jungen Damen, zu denen man mich geschickt hat, etwas ausführlicher zu plaudern. Bis der nächste Passagier kommt, das kann dauern, und es gibt noch etliche weitere Schalter.

Dann geht es zum Bus (einem großen, komfortablen mit nur 24 Passagieren) und schon nach zweieinhalb Stunden stehen wir vor dem London Eye, das ich gerne mal ausprobiert hätte, aber da muss man sich wohl ein halbes Jahr vorher anmelden. Der Andrang ist unfassbar.


Also fahre ich, wie ursprünglich geplant, mit der U-Bahn zum Picadilly Circus, wo sich das hiesige Hard Rock Cafe befindet. Es liegt im Keller, ist richtig groß und im U-Bahn-Design gebaut. Und man kriegt hier nie einen Platz, so hat man mir gesagt. Und jetzt ist Mittagszeit. Egal, ich ändere meine Gewohnheit (erst einkaufe, dann essen) und frage direkt nach einem Platz im Restaurant. Klar, gerne,kein Problem. Treppe runter, der übliche Empfang, schon habe ich einen netten kleinen Zweiertisch für mich.

Während ich esse, passiert, wovor man mich gewarnt hatte: der Laden ist voll, man muss anstehen. 


Was schön ist: sie besetzen nicht jeden Platz, und insbesondere setzen sie nicht Leute zusammen, die nichts miteinander zu tun haben.


Das Essen selbst wird bei meinem Ranking irgendwo im Mittelfeld landen. Positiv zu erwähnen sind die Fritten, die ausnahmsweise mal lange genug im Öl waren.

Als ich die Treppe wieder hoch klettere, ringeln sich zwei hungrige, ungeduldige Reptilien vom Eingang durch den Rockshop (dem größten der Welt) bis zum Empfangstresen des Restaurants. 

Die Klamotten hier sind besonders teuer, nicht nur, weil man pfundweise Geld dafür ausgeben muss. London halt. Zum Glück hatte die Reiseleiterin vorhin im Bus Stadtpläne ausgeteilt, auf deren Rückseite Gutscheine aufgedruckt waren. 15% Rabatt im Rockshop, das bringt des Einkauf wieder auf ein normales Preisniveau.

Ich treibe mich noch eine zeitlang nahe dem Picadilly Circus herum, finde sogar ein paar bezahlbare Souvenirs (London ist echt teuer geworden!) und fahre zurück zum London Eye, dessen Popularität während der letzten Stunden noch deutlich zugenommen zu haben scheint. Oder vielleicht liegt es auch an den gepflegten, kostenlosen Toiletten dort. Als ich nach getaner Tätigkeit die Treppe wieder hoch steige, kommt mir ein Riesenschwall Touristen entgegen, von denen viele den Linksverkehr noch nicht begriffen haben. Aber ich schaffe den Weg zum Bus unfallfrei, und der wiederum seinen Weg unfallfrei nach Dover, wo wir auf dem Schiff einen sehr unglücklichen Küchenchef haben, weil die Energie in der Küche ausgefallen ist, und er die warmen Gerichte nur mit großen Wartezeiten auf den Tisch bekommt. Wie gut, dass ich heute Mittag meine Gewohnheit gewechselt hatte!


Sonntag, 30. Juni 2024

Am Ufer der Seine

Honfleur, trist und melancholisch. Wir liegen wieder in einem kleinen, häßlichen Industriehafen und warten auf den Shuttlebus ins Ortszentrum. Bis der kommt, erzähle ich euch noch von gestern. Erstmal die Show: war leider weit weg von allem, was die Truppe bisher aufgeführt hat (was aber an der Songauswahl und Inszenierung lag). Begeistern konnten nur die Tuchakrobatin und ihr Kollege, der mit einem riesigen Metallreifen auf der Bühne herumgeturnt hat.


Obstteller. Das ist sehr abgestuft: Hat man eine Suite, bekommt man jeden Abend einen (was viel ist, auch für zwei). Hat man eine Innen- oder Außenkabine, bekommt man gar keinen, kann sich aber - wie jeder andere - an der gut sortierten Obsttheke im Buffetrestaurant daran satt essen. Und hat man eine Balkonkabine, so wie ich, bekommt man einen zur Begrüßung. Aber nur dann, steht im Katalog. Begrüßt wird man hier ständig, von dem extrem freundlichen Personal. Egal, ob Putzpersonal, Kabinenstewart, Maler, Matrose, Barkeeper, Kellner, Masseurin, auch der KD, alle grüßen immer sehr freundlich. Gelegentlich kriegen auch die Offiziere die Zähne auseinander, und in ganz seltenen Fällen sogar die Mitpassagiere. Im Laufe der Reise werden es mehr. Oder sagen wir so - zumindest wenn man zuerst grüßt, bekommt man eine freundliche Antwort. Auf der Artania war das nicht immer so, trotz entsprechender Ansage des dortigen KD. Viele vom Personal kennen sogar meinen Namen. Auch wenn sie mich beim Landgang sehen. Das ist manchmal sehr lustig, so wie neulich. Ich laufe so harmlos durch Brest, da steht plötzlich eine kleine Balinesierin vor mir und ruft lautstark: „ey Loy, wo wa’hen du geste’n Abend, hä?“

Wir haben sehr viele kleine südostasiatische Frauen an Bord, und mit Ausnahme meiner Masseurin kann ich sie kaum voneinander unterscheiden. Aber bei dieser komme ich ziemlich schnell drauf: die Getränkekellnerin aus dem Bedienrestaurant "Waterfront" auf Deck 7, da bin ich fast immer, also, während der Mahlzeiten. Ich zeige Richtung Himmel, weil ich auf Deck 8 gegessen hatte, nämlich eine Pasta Spezialität.

„aha, etwa im medite’anischen Lestau’ant!“ stellt sie mit ihrem Kleinmädchencharme (obwohl sie bestimmt schon Ende dreißig ist) leicht entrüstet fest. „Abe’ heute wiede’ bei mi’!“.  Keinen Widerspruch akzeptierend, klopft sie mir auf die Schulter und ist weg. 

Einige zufällig in der Nähe befindliche Mittouristen haben die Szene beobachtet, da bin ich mir sicher. Manchmal möchte ich deren Gedanken lesen können. Aber jetzt kommt der Bus.

Es ist ein erwachsener Bus (nicht wie gestern), und der marokkanische Fahrer sowie die kleine sehr blonde französische Hostess achten darauf, dass beim einsteigen alles in Ordnung geht, besonders, weil wir einige gebrechliche Leute dabei haben. Doch dann entsteht ein Stau, und ein Dutzend Leute steigt wieder aus, mit Mühe auch Gebrechliche, weil niemand darauf geachtet hat, wie viele Leute in den Bus passen. Da haben wir es wieder: die Franzosen brauchen immer zwei, diesmal sind es Busse.

Es ist Sonntag, wir sind in Frankreich, und ich hoffe, es gibt nicht nur geschlossene Läden zu sehen. (wie auf Martinique). Aber hier in Honfleur weiß man, wo das Geld her kommt. Alle haben auf, die wunderschöne alte Stadt an der Seinemündung sprudelt über vor Leben und Geschäftstüchtigkeit, ein einziger bunter Jahrmarkt für die Touristen. Sehr häufig trifft man hier Kreuzfahrer, nicht unsere, sondern solche, die auf der Seine von Paris aus gekommen sind. 


Als ich mich an den vielen normannischen Häusern satt gesehen und von den Essensdüften aus den vielen Restaurants für Fisch und Meeresfrüchten Hunger bekommen habe … ach ja, der Obstteller.

Nach einer Woche steht wieder einer auf meiner Kabine. Vorsichtig sehe ich mich um, ob ich vielleicht einen Mitbewohner bekommen habe, der jetzt damit begrüßt wird. Man weiß ja nie. Die Katalogangaben ändern sich gelegentlich, mal zum guten, und mal weniger. Aber natürlich gibt es keinen Mitbewohner, und ich freue mich über den neuen Obstteller.

 

Abenteuer Bahn

  Als mir heute morgen, im Bett, ganz spontan dieser Titel eingefallen ist, wusste ich natürlich noch nichts vom heutigen Tag. Aber ganz von...